Innenminister de Maizière muss darüber entscheiden, ob die Staatsanwaltschaft Berlin gegen seinen Amtsvorgänger Friedrich strafrechtliche Ermittlungen wegen Geheimnisverrat aufnehmen darf. Eine Abwägung, die ob des bisherigen Verlaufs der Causa Edathy nur dazu führen kann, dass der Innenmister der Staatsanwaltschaft grünes Licht erteilt.

Der ehemalige Minister Hans-Peter Friedrich hatte im Oktober vergangenen Jahres am Rande der Koalitionsverhandlungen interne Informationen des Bundeskriminalamtes an SPD-Chef Sigmar Gabriel weitergegeben und ihm mitgeteilt, dass der Name des SPD-Abgeordneten Sebastian Edathy im Umfeld von internationalen Ermittlungen gegen einen Kinderpornoring aufgetaucht sei.

Der Hinweis von Friedrich an Gabriel könnte tatsächlich den Tatbestand des Geheimnisverrats gemäß § 353b StGB erfüllen. Der Bundesgerichtshof hat in einem anderen Verfahren im Jahre 2008 entschieden, dass Ermittlungserkenntnisse, die zugleich Dienstgeheimnisse sind, über die berichtet wird, nicht unbefugt offenbart werden und das Ermittlungsverfahren gefährden dürfen. Die Staatsanwaltschaft müsse sich darauf verlassen können, dass die unterrichteten Stellen ihrer Verschwiegenheitspflicht gewissenhaft nachkommen (BGH 1 StR 83/08 – Beschluss vom 16. April 2008 (LG Stuttgart)).

Geheimnisverrat: Ermächtigung de Maizières erforderlich

Vor einer strafrechtlichen Verfolgung von Friedrich ist aber eine ganz andere Hürde zu nehmen. Seine Immunität, die ihn als Bundestagsabgeordneten grundsätzlich vor strafrechtlicher Verfolgung schützt, wurde zwar bereits aufgehoben. Für ein offizielles Ermittlungsverfahren müsste im Vorwege jedoch noch eine Ermächtigung gemäß § 353b Absatz 4 StGB eingeholt werden. In diesem Fall müsste Friedrichs Amtsnachfolger Thomas De Maizière die Staatsanwaltschaft ermächtigen, Friedrich strafrechtlich zu verfolgen. Am Dienstag ist eine entsprechende Bitte der Staatsanwaltschaft Berlin im Innenministerium eingegangen, welche jetzt geprüft werde, berichtet Süddeutsche.de. Mit einer Entscheidung de Maizières sei Anfang kommender Woche zu rechnen.
Laut dem Münchener Kommentar zum Strafgesetzbuch dient das Ermächtigungserfordernis dazu, nicht strafwürdige Fälle auszuscheiden und die Strafbarkeit auf schwerwiegende Fälle zu konzentrieren. Nach dem Willen des Gesetzgebers soll dadurch gleichzeitig auf die Einleitung eines Verfahrens verzichtet werden können, soweit dessen Durchführung weitere Nachteile mit sich bringen könnte (BT-Drucks. 8/3067, S. 6.)

Man mag § 353b IV StGB (Geheimnisverrat) u.a. deswegen kritisieren, weil er den Geheimnisträger im Sinne der Vorschrift besser stellt, als den „normalen“ Straftäter, der nicht durch einen entsprechenden Ermächtigungszwang vor strafrechtlichen Ermittlungen geschützt wird. Auch dass der Ermächtigungszwang der staatsanwaltlichen Pflicht zur Einleitung von Ermittlungen ein Bein stellt, ist vor dem Hintergrund der in Deutschland geltenden Gewaltenteilung sicherlich kritisch zu sehen. Diese „Ungleichbehandlung“ hat jedoch auch einen nachvollziehbaren Grund: sie soll helfen, weiteren Schaden abzuwenden, der dadurch entstehen würde, dass im Rahmen der Strafverfolgung die Geheimnisse erst recht öffentlich werden. Eine Erwägung, die gerade in letzter Zeit zum Tragen kommt, in der Staatsanwälte, wie im Fall Edathy oder auch Wulf, blind vor Eifer ermitteln und einschneidende Ermittlungsmaßnahmen initiieren, anstatt im Vorweg sorgsam abzuwägen, ob die Voraussetzungen für derart gravierende Eingriffe überhaupt gegeben sind. Im vorliegenden Fall ist das Geheimnis, nämlich die Information an Gabriel, dass Edathy auf einer Ermittlungsliste stehe, aber bereits öffentlich bekannt, nicht zuletzt deswegen, weil Friedrich verlauten lässt, es sei seine Pflicht gewesen, „SPD-Chef Gabriel frühzeitig über Ermittlungen gegen den früheren SPD-Bundestagsabgeordneten Edathy informiert“ zu haben.
Mit dieser Argumentation wird es Friedrich für den Fall, dass de Maizière die Ermächtigung erteilt, jedoch sicherlich schwer haben. Aus § 353b StGB jedenfalls ergibt sich das genaue Gegenteil, nämlich dass geheimnisbedürftige Tatsachen – und bei den möglichen Ermittlungen gegen Edathy handelt es sich um eben solche – gerade nicht weitergegeben werden dürfen. Friedrich war auch nicht befugt, die Informationen weiterzugeben. Die Koalitionsverhandlungen und der möglicherweise geplante Einsatz Edathys als Minister waren jedenfalls kein Rechtfertigungsrund für die Weitergabe der Information. Er hat damit in Kauf genommen, dass durch die Weitergabe der Informationen die staatsanwaltlichen Ermittlungsmaßnahmen möglicherweise torpediert werden.

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Inzidente Prüfung des Vorwurfs gegen Edathy

Der Bundesgerichtshof hat in dem erwähnten Beschluss ausgeführt, dass die Geheimhaltung von Ermittlungserkenntnissen, die zugleich Dienstgeheimnisse sind, ein besonders wichtiges öffentliches Interesse darstellt, dessen Schutz auf Strafzumessungsseite die Verhängung einer Freiheitsstrafe erfordern kann. Das Geheimhaltungsinteresse dürfte das Informationsinteresse nach dieser Wertung auch im vorliegenden Fall überwogen haben, so dass Friedrichs Information an Gabriel nicht gerechtfertigt gewesen sein dürfte, also einen Geheimnisverrat darstellen. Nur wenn abschließend festgestellt werden sollte, was sich bislang lediglich vermuten lässt, dass nämlich die Ermittlungen gegen Edathy wegen kinderpornographischen Schriften mangels Anfangsverdachts möglicherweise gar nicht hätten aufgenommen werden dürfen – was in einem möglichen Verfahren gegen Friedrich inzident zu prüfen wäre –, könnte die vorgenannte Abwägung im Sinne von Friedrich anders ausfallen: Ein Ermittlungsverfahren, welches rechtsstaatswidrig eingeleitet wurde und also gar nicht hätte durchgeführt werden dürfen, kann nicht gefährdet werden. Für diesen Fall könnte Friedrichs Verhalten schon nicht tatbestandsmäßig oder zumindest gerechtfertigt gewesen sein. Ein Argument, welches Friedrich nötigenfalls sicherlich in seine Verteidigung mit aufnehmen wird.

So oder so: Aufgrund des massiven politischen Drucks wird de Maizière nicht umhinkommen, die entsprechende Ermächtigung zur strafrechtlichen Ermittlung gegen Friedrich wegen Geheimnisverrat zu erteilen. Andernfalls sähe er sich des Verdachts der politischen Kumpanei ausgesetzt: Ein Verdacht, der in diesem Fall ohnehin schon zu große Bedeutung hat.

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