Die Staatsanwaltschaft Stuttgart erwägt, gegen den Vater des Amokläufers von Winnenden und Wendlingen Anklage zu erheben. Die Vorwürfe sollen auf fahrlässige Tötung in 15 Fällen und fahrlässige Körperverletzung in 13 Fällen lauten.

Darüber, dass dem Vater ein Fahrlässigkeitsvorwurf nicht gemacht werden kann, habe ich bereits ausführlich berichtetet (für weitere Informationen).

Diese rechtliche Bewertung erhalte ich aufrecht. Nur für den Fall, dass Tim K. tatsächlich in der psychiatrischen Behandlung von seinen Gewalt- und Mordfantasien gesprochen hat und die behandelnde Therapeutin diese Fantasien dem Vater auch mitgeteilt hat, würde sich etwas anderes ergeben.

Der Vater hätte sich dann auch subjektiv sorgfaltspflichtwidrig verhalten, wenn er mit dem Wissen um die Gewalt- und Mordfantasien seines Sohnes die Tatwaffe unverschlossen hat liegen lassen. Diese subjektive Sorgfaltspflichtverletzung nachzuweisen, wird der anstehenden Gerichtsverhandlung vorbehalten sein.

Strafprozessual und verfassungsrechtlich bedenklich erscheint mir Folgendes:

Die Staatsanwaltschaft erwägt, laut Medienberichten, Anklage direkt zum Landgericht zu erheben. Es soll auf diese Weise eine möglichst rasche Klärung der Rechtsfrage durch den Bundesgerichtshof (BGH) herbeigeführt werden, nämlich, ob ein Waffenbesitzer für alles verantwortlich gemacht werden kann, dass missbräuchlich mit einer nicht sachgerecht verwahrten Waffe geschieht.

Normalerweise müsste die Staatsanwaltschaft Anklage bei Amtsgericht erheben. Die fahrlässige Tötung gemäß § 222 Strafgesetzbuch (StGB) hat mit einer Straferwartung von maximal fünf Jahren keine so hohe Strafandrohung, die eine Anklage zum Landgericht rechtfertigt.

Gemäß § 24 I Nr. 2 Gerichtsverfassungsgesetz (GVG) ist das Amtsgericht (als Schöffengericht) immer zuständig, wenn nicht eine höhere Strafe als vier Jahre Freiheitsstrafe zu erwarten ist. Eine so hohe Strafe ist hier von vorneherein nicht zu erwarten.

Gemäß § 24 I Nr. 3 GVG kann die Staatsanwaltschaft auch Anklage zum Landgericht erheben, wen die besondere Bedeutung des Falles dies gebietet. Eine besondere Bedeutung des Falles soll nach Auffassung des BGH auch dann gegeben sein, wenn das Bedürfnis für die rasche Klärung einer grundsätzlichen, für eine Vielzahl gleich gelagerter Fälle bedeutsamen Rechtsfrage durch den BGH besteht. Entschieden hat dies der BGH im Jahre 1997 für den Fall der Auslegung eines objektiven Tatbestandsmerkmals (es ging um die Auslegung eines objektiven Tatbestandsmerkmals des alten § 302a Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 StGB, nämlich um die Frage, ob die Beschäftigung eines Arbeitnehmers zu unangemessen niedrigem Lohn Wucher i.S.d. Vorschrift sein kann, vgl. BGHSt 43, S. 53).

Hier aber geht es um die Bewertung eines subjektiven Merkmals, nämlich der Frage, ob der Vater sich in diesem konkreten Fall subjektiv sorgfaltspflichtwidrig verhalten hat, wenn er davon wusste, dass sein Sohn Mordgedanken hat und er die Waffe trotz dieses Wissens hat unverschlossen liegen lassen.
Dass er sich nämlich objektiv sorgfaltspflichtwidrig verhalten hat, ist bereits durch § 36 Waffengesetz (WaffG) geklärt, der vorschreibt, dass Waffen nicht unverschlossen aufbewahrt werden dürfen.
Es kann für Frage der Strafbarkeit also nur um die subjektive Sorgfaltspflichtverletzung gehen.
Die Bewertung der Probleme von subjektiven Merkmalen – wie bei Vorsatzdelikten der subjektive Tatbestand – bleibt aber dem Tatrichter vorbehalten. Im Rahmen der subjektiven Sorgfaltspflichtverletzung soll gerade der Einzelfall bewertet werden.

Wenn die Staatsanwaltschaft nunmehr Anklage beim Landgericht erhebt, weil die Bedeutung der Sache in Form der raschen Klärung gleich gelagerter Fälle dies gebietet, verlangt sie nichts anderes, als die Klärung eines subjektiven Merkmals durch den BGH. Dies ist aber eine offensichtlich sachfremde und unhaltbare Erwägung, weil der BGH subjektive Fragen nicht für eine Vielzahl gleich gelagerter Fälle klären kann. Subjektive Momente sind nie gleich gelagert bzw. können es nicht sein.

Damit wäre das unzuständige Landgericht auch nicht über § 269 StPO wieder im Spiel. Hiernach darf sich das Gericht nicht für unzuständig erklären, weil die Sache vor ein Gericht niederer Ordnung gehöre. Die weitergehende Zuständigkeit, hier des Landgerichts, schließt die weniger weitgehende, hier des Amtsgerichts, mit ein. Grundsätzlich kann hiergegen nicht mit der Revision vorgegangen werden, mit dem Argument, dem Angeklagten sei der gesetzliche Richter entzogen worden (Art. 101 I S. 2 Grundgesetz (GG)) , also der Richter, der ihm dem Gesetz nach zusteht.

„Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs erfährt dieser Grundsatz eine Einschränkung, wenn Willkür vorliegt, also wenn die unzutreffende Annahme seiner Zuständigkeit durch das Gericht höherer Ordnung auf sachfremde oder andere offensichtlich unhaltbare Erwägungen gestützt ist“ (BGHSt 43, S. 53 55).

Dies aber wäre hier der Fall: Die Anklage zum Landgericht anstatt zum Amtsgericht aufgrund der Bedeutung des Falles im Sinne der raschen Klärung eines letztlich subjektiven Moments, ist aus vorgenannten Gründen eine unhaltbare Erwägung.

Der Anwalt des Angeklagten könnte also (um sicher zu gehen) die Zuständigkeit des Landgerichts rügen und würde damit einen Revisionsgrund schaffen, mit der Folge, dass, wenn der Bundesgerichtshof in der Revision zum selben Ergebnis kommt, die Sache dem eigentlich zuständigen Amtsgericht erneut zur Entscheidung vorgelegt würde. Sollte der Bundesgerichtshof die Bedenken nicht teilen, käme hiergegen aufgrund des berührten Verfassungsrechts (Art. 101 GG) eine Verfassungsbeschwerde in Betracht.

Diese Ausführungen betreffen natürlich – rein formal betrachtet – lediglich die Rechtsprobleme.

Eine ganz andere Frage ist, ob der Vater des Amokläufers von Winnenden überhaupt ein Interesse an der Einlegung der Revision bei negativem Urteil des Landgerichts hätte, weil seinem Interesse – aus nachvollziehbarem Grund – wohl eher die schnelle Erledigung des Verfahrens entspricht.

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