Das Landgericht Hamburg hat sich in einer Entscheidung vom 14.09.2009 mit der Frage nach der Rechtmäßigkeit einer Wohnungsdurchsuchung auseinandergesetzt (Az.: 628 Qs 26/09).
Der Betroffene wurde von den Polizeibeamten zunächst wegen Lärmbelästigung aufgrund zu lauter Musik am späten Nachmittag um 17:38 Uhr aufgesucht. Die Polizeibeamten nahmen sodann Marihuanageruch aus der Wohnung des Betroffenen wahr, betraten und durchsuchten die Wohnung. Sie fanden zwei Plastikbeutel, die insgesamt eine Menge von rund 68 Gramm Marihuana beinhalteten (Wirkstoffgehalt von 15,8%, die Gesamtmenge Marihuana enthielt damit 10,78 Gramm THC).
Nach Ansicht des Gerichts lagen zwar die Voraussetzungen für eine Gefahr im Verzuge gemäß § 105 Strafprozessordnung (StPO) vor. Die Anordnung der Wohnungsdurchsuchung war jedoch angesichts der zu erwartenden Durchsuchungsergebnisse unverhältnismäßig. Entscheidend für die Bewertung, welches Ergebnis die Durchsuchungsmaßnahmen bringen wird, ist immer die Sicht, die der Polizeibeamte vor Durchführung der Durchsuchung hatte (ex-ante Sicht).
„Es handelte sich um die Durchsuchung bei einer Person, die einer Straftat verdächtig ist, und damit um eine gemäß § 105 StPO anzuordnende Durchsuchung im Sinne von § 102 StPO. Die Rechtmäßigkeit einer solchen Durchsuchungsanordnung setzt voraus, dass der Anfangsverdacht für die Begehung einer Straftat vorliegt, die Durchsuchung der Ergreifung der Person des Beschuldigten oder dem Auffinden von Beweismitteln dient und ihre Anordnung verhältnismäßig ist“ (LG Hamburg: Beschluss vom 14.09.2009 – 628 Qs 26/09).
Gemessen an diesen Voraussetzungen kommt das Gericht zu folgendem Ergebnis:
„Die Rechtswidrigkeit ergibt sich jedoch nicht bereits aus dem Umstand, dass die Durchsuchung nicht aufgrund richterlicher Anordnung durchgeführt wurde.
Zu Recht haben die polizeilichen Ermittlungsbeamten ihre Kompetenz zur Anordnung der Wohnungsdurchsuchung angenommen. Gefahr im Verzug lag vor, § 105 Abs. 1 StPO.
Die Eilkompetenz eröffnet den nichtrichterlichen Organen die Möglichkeit eines Eingriffs, wenn Beweismittel andernfalls gefährdet wären. Gefahr im Verzug ist immer dann anzunehmen, wenn die vorherige Einholung der richterlichen Anordnung den Erfolg der Durchsuchung gefährden würde (BVerfGE 51, 97 ff). Bei der strafprozessualen Durchsuchung zur Auffindung von Beweismitteln soll die Eilkompetenz die Strafverfolgungsbehörden in die Lage versetzen, einen Beweismittelverlust zu verhindern (vgl. BVerfG NJW 2001, 1121-1125). Nur in Ausnahmesituationen, wenn schon die zeitliche Verzögerung den Erfolg der Durchsuchung gefährden würde, dürfen sie selbst die Anordnung wegen Gefahr im Verzug treffen, ohne sich zuvor um eine richterliche Entscheidung bemüht zu haben (BVerfG, a. a. O.).
Vorliegend lag eine solche Ausnahmesituation vor, die die sofortige Anordnung der Hausdurchsuchung durch die polizeilichen Ermittlungsbeamten erforderlich machte. Es bestand die konkrete Gefahr, dass der Beschwerdeführer unverzüglich Beweismittel zu seiner Überführung, insbesondere das bei der Durchsuchung vorgefundene Betäubungsmittel, unverzüglich vernichten bzw. verschwinden lassen würde. (…)
Angesichts dieser Umstände mussten die Ermittlungsbehörden jede zeitliche Verzögerung vermeiden. Schon der Versuch der Einschaltung eines Ermittlungsrichters, aber auch ein Anruf bei der Staatsanwaltschaft Hamburg hätte eine nicht hinzunehmende zeitliche Verzögerung bedeutet, die einen Beweismittelverlust hätte herbeiführen können.
Aufgrund des aus der Wohnung des Beschwerdeführers dringenden Geruchs nach Marihuana, den die Polizeibeamten vor Ort feststellten, lag auch der erforderliche Anfangsverdacht hinsichtlich eines unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln gemäß § 29 Abs. 1 Ziffer 3 BtMG (Betäubungsmittelgesetz) vor.
Die Anordnung der Wohnungsdurchsuchung war jedoch angesichts der zu erwartenden Durchsuchungsergebnisse unverhältnismäßig. Mit einer Durchsuchung wird schwerwiegend in die Unverletzlichkeit der Wohnung (Art. 13 Abs. 1 GG (Grundgestz)) eingegriffen. Dem erheblichen Eingriff in die grundrechtlich geschützte Lebenssphäre des Beschwerdeführers entspricht ein besonderes Rechtfertigungsbedürfnis nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit.
Vorliegend wussten die Polizeibeamten in dem Zeitpunkt, in dem sie sich entschieden, die Wohnung zum Zwecke der Durchsuchung auf Betäubungsmittel hin zu betreten (…), lediglich, dass es aus der Wohnung heraus nach Marihuana roch. Hieraus konnten sie lebensnah schließen, dass hier Marihuana konsumiert wurde und möglicherweise noch eine weitere Marihuanamenge im für den Eigenkonsum erforderlichen Umfang vorhanden sein konnte (…).
Konkrete Hinweise auf größere Betäubungsmittelmengen lagen nicht vor.
Zwar trafen die Polizeibeamten aufgrund des Einsatzes „Ruhestörung“ vor Ort ein und vernahmen aus der Wohnung des Beschuldigten laute Techno-Musik. Hieraus auf das Stattfinden einer Feier mit einer Vielzahl von Menschen zu schließen, lag angesichts der Uhrzeit von 17:38 Uhr (…) nicht nahe. Weitere Anhaltspunkte, etwa Stimmengewirr aus der Wohnung oder das Ein- und Ausgehen einer Vielzahl von Personen, gab es nach Aktenlage nicht. Vorliegend kann daher offen bleiben, ob selbst bei begründeter Annahme einer laufenden Feier in der Wohnung der Schluss auf größere Betäubungsmittelmengen in der Wohnung zulässig gewesen wäre.
Angesichts der fehlenden Hinweise auf das Vorhandensein größerer Mengen konnte lediglich eine geringe Menge Betäubungsmittel zum Eigenverbrauch erwartet werden, bei der gemäß § 29 Abs. 5, 31 a Abs. 1 BtMG von Strafe abgesehen werden kann (…). Der Regelungsgehalt dieser Vorschriften verdeutlicht das geringe Verfolgungsinteresse des Staates in diesem Bereich (…). Im vorliegenden Fall überwog damit das grundrechtlich geschützte Interesse an der Unverletzlichkeit der Wohnung aus Artikel 13 GG gegenüber dem geringen Strafverfolgungsinteresse des Staates.
Dass bei der Durchsuchung tatsächlich eine Menge von rund 68 Gramm Marihuana mit einem Wirkstoffgehalt von 15,8% (Gesamtmenge THC beim Rauchen insgesamt 10,78 Gramm) festgestellt wurde, führt nicht zu einer abweichenden Beurteilung. Der vorliegende Verdacht ist aus der Perspektive ex ante zu bewerten, eine Durchsuchung zum Zwecke der Ausforschung ist unzulässig (LG Bremen StV 2002, 536)“; (s.h. insgesamt: LG Hamburg: Beschluss vom 14.09.2009 – 628 Qs 26/09).
Ob aus der rechtswidrigen Durchsuchung allerdings auch ein Beweisverwertungsverbot hinsichtlich des gefundenen Marihuanas folgt, hat das Gericht offengelassen. Die Entscheidung hierüber obliegt dem Tatgericht. In der weit überwiegenden Zahl der Fälle wird jedoch ein Beweisverwertungsverbot nicht angenommen, weil das Strafverfolgungsinteresse als höherwertig angesehen wird, als das Recht des Beschuldigten auf Unverletzlichkeit der Wohnung.