Bei einer versuchten Steuerhinterziehung großen Ausmaßes sind bei der Bestimmung des für den strafbaren Deliktsversuch geltenden Strafrahmens die Regelbeispiele besonders schwerer Steuerhinterziehung im Ergebnis wie ein Tatbestandsmerkmal zu behandeln, weil sie einen gegenüber dem Tatbestand erhöhten Unrechts- und Schuldgehalt typisieren. (BGH, Beschluss vom 28. 7. 2010 – 1 StR 332/10 (LG Saarbrücken)).

Zum Sachverhalt:

„Der Angeklagte ließ beim Finanzamt Köln für die D-GbR betreffend den Monat Juni 2008 eine unrichtige Umsatzsteuervoranmeldung einreichen. Darin wurde zu Unrecht ein Vorsteuerbetrag i.H.v. mehr als 534000 € aus gefälschten Rechnungen der Firma E, denen in Wirklichkeit keine Leistungen zugrunde lagen, geltend gemacht. Das Finanzamt, das Zweifel an der Richtigkeit der Umsatzsteuervoranmeldung hatte, zahlte die geltend gemachten Vorsteuern nicht als Erstattungsbetrag aus, sondern leitete eine Umsatzsteuersonderprüfung ein“ (BGH, Beschluss vom 28. 7. 2010 – 1 StR 332/10).

Zur rechtlichen Bewertung dieses Geschehens führt der BGH aus:

„Auch wenn der Angeklagte hier nicht i.S.v. § 370 Absatz III 2 Nr. 1 AO „in großem Ausmaß Steuern verkürzt oder nicht gerechtfertigte Steuervorteile erlangt hat”, weil eine Auszahlung des geltend gemachten Erstattungsbetrages vom Finanzamt verweigert worden war (§ 168 S. 2 AO), durfte das LG die Strafe dennoch dem gemäß § 23 Absatz II i.V.m. § 49 Absatz I StGB gemilderten Strafrahmen des § 370 Absatz III AO entnehmen. Denn die Geltendmachung des unberechtigten Vorsteuerbetrages von mehr als 534000 € zielte auf einen nicht gerechtfertigten Steuervorteil in großem Ausmaß i.S.v. § 370 Absatz III 2 Nr. 1 AO ab (….). Der Umstand, dass ebenso wie das Grunddelikt des § 370 Absatz I Nr. 1 AO auch das Regelbeispiel des § 370 Absatz III 2 Nr. 1 AO nur versucht worden ist, steht dem nicht entgegen (…). Für den Eintritt der Regelwirkung der Regelbeispiele besonders schwerer Steuerhinterziehung gemäß § 370 Absatz III 2 AO kann es bei der versuchten Steuerhinterziehung (§ 370 Absatz II AO) nur darauf ankommen, ob der Täter nach seiner Vorstellung zur Verwirklichung des Regelbeispiels bereits unmittelbar angesetzt hat. Denn bei der versuchten Steuerhinterziehung ist auch für die Indizwirkung der Regelbeispiele auf die subjektive Tatseite abzustellen. Dabei sind bei der Bestimmung des für den strafbaren Deliktsversuch geltenden Strafrahmens die Regelbeispiele besonders schwerer Steuerhinterziehung im Ergebnis wie ein Tatbestandsmerkmal zu behandeln, weil sie einen gegenüber dem Tatbestand erhöhten Unrechts- und Schuldgehalt typisieren (…). Ist der Schuldgehalt der versuchten Tat geringer, kommt auch für den Strafrahmen des besonders schweren Falles der Steuerhinterziehung (§ 370 Absatz III 1 AO) die Strafrahmenverschiebung des § 23 Absatz II i.V.m. § 49 Absatz I StGB in Betracht“ (BGH, Beschluss vom 28. 7. 2010 – 1 StR 332/10).

Gegenteiliges ergebe sich nicht aus einem Vergleich mit dem Regelbeispiel des § 263 Absatz III 2 Nr. 2 Var. 1 StGB, für das der BGH annimmt, dass ein bloßer Betrugsversuch die Voraussetzungen des Regelbeispiels des „Herbeiführens eines Vermögensverlustes großen Ausmaßes” nicht erfüllen kann (vgl. Beschl. v. 17. 11. 2006 – BGH 17.11.2006 Aktenzeichen 2 StR 388/06). „Denn der dort vom Gesetzgeber verwendete Begriff des Vermögensverlustes ist nach dem Wortsinn enger zu verstehen als die in anderem Zusammenhang verwendeten Begriffe des Vermögensschadens oder -nachteils und verbietet daher eine Ausdehnung auf bloße Gefährdungsschäden (….). Dies rechtfertigt, die im bloßen Ansetzen, einen Vermögensverlust herbeizuführen, liegende Gefährdung auch bei Versuchstaten für die Regelwirkung nicht ausreichen zu lassen. Zutreffend hat der Generalbundesanwalt darauf hingewiesen, dass im Gegensatz hierzu §§ 370 Absatz III 2 Nr. 1 AO ausdrücklich Bezug nimmt auf den Begriff der Steuerverkürzung und damit auf die Legaldefinition in § 370 Absatz IV 1 AO. Von dieser Definition werden auch Vermögensgefährdungen bei verspäteter oder zu niedriger Festsetzung erfasst (…)“ (BGH, Beschluss vom 28. 7. 2010 – 1 StR 332/10).