Leitsätze des Bearbeiters:

  • Bei sechsstelligen Steuerhinterziehungsbeträgen ist die Verhängung einer Geldstrafe nur bei gewichtigen Milderungsgründen angemessen.
  • Bei Steuerhinterziehungsbeträgen in Millionenhöhe kommt eine aussetzungsfähige Freiheitsstrafe nur bei besonders gewichtigen Milderungsgründen in Betracht.

Zur Strafzumessung bei Steuerhinterziehungen hat der Bundesgerichtshof (BGH) am 02.12.2008 folgendes, richtungsweisendes Urteil erlassen (1 StR 416/08 (LG Landshut) abgedruckt: NStZ 2009, S. 271-273):

1. Grundlage für die Zumessung der Strafe ist bei einer Steuerhinterziehung – wie bei jeder anderen Straftat auch – die persönliche Schuld des Täters. Dabei sind auch die Wirkungen zu berücksichtigen, die von der Strafe für das künftige Leben des Täters in der Gesellschaft zu erwarten sind (§ 46 I Strafgesetzbuch (StGB)). § 46 II 1 StGB bestimmt, dass bei der Zumessung der Strafe die Umstände gegeneinander abzuwägen sind, die für und gegen den Täter sprechen. Dabei kommen namentlich die in § 46 II 2 StGB genannten Umstände in Betracht. Solche sind die Beweggründe des Täters, die Gesinnung, die aus der Tat spricht, das Maß der Pflichtwidrigkeit, die Art der Ausführung und die verschuldeten Auswirkungen der Tat, das Vorleben des Täters sowie seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse und sein Verhalten nach der Tat.

2. Bei der Zumessung einer Strafe wegen Steuerhinterziehung hat das von § 46 II 2 StGB vorgegebene Kriterium der „verschuldeten Auswirkungen der Tat“ im Rahmen der erforderlichen Gesamtwürdigung besonderes Gewicht. „Auswirkungen der Tat“ sind insbesondere die Folgen für das durch die Strafnorm geschützte Rechtsgut. Das durch § 370 Abgabenordnung (AO) geschützte Rechtsgut ist die Sicherung des staatlichen Steueranspruchs, d.h. des rechtzeitigen und vollständigen Steueraufkommens (vgl. BGHSt 36, S. 100 (102)). Deshalb ist die Höhe der verkürzten Steuern ein bestimmender Strafzumessungsumstand i.S. d. § 267 III 1 Strafprozessordnung (StPO) (vgl. auch BGH wistra 1998, S. 269 (270)).

Das gilt nicht nur für die Strafrahmenwahl (§ 370 III 2 Nr. 1 AO), sondern auch für die konkrete Strafzumessung in dem zugrunde gelegten Strafrahmen des § 370 I AO. Dass der Hinterziehungsbetrag nicht nur ein bestimmender Strafzumessungsfaktor, sondern darüber hinaus, dann, wenn er hoch ist, ein auch für die konkrete Strafzumessung gewichtiger Strafschärfungsgrund ist, zeigt insbesondere die gesetzgeberische Wertung in § 370 III 2 Nr. 1 AO, in dem es heißt, das ein besonders schwerer Fall der Steuerhinterziehung in der Regel vorliegt, wenn der Täter in großem Ausmaß Steuern verkürzt oder nicht gerechtfertigte Steuervorteile erlangt.

3. Auch wenn der Hinterziehungsbetrag ein bestimmender Strafzumessungsgrund für die Steuerhinterziehung ist, kann allein dessen Ausmaß für die Strafhöhenbemessung nicht in dem Sinne ausschlaggebend sein, dass die Strafe gestaffelt nach der Höhe des Hinterziehungsbetrags schematisch und quasi „tarifmäßig“ verhängt wird. Jeder Einzelfall ist vielmehr nach den von § 46 StGB vorgeschriebenen Kriterien zu beurteilen.

Das schließt indes nicht aus, die Strafhöhe an den vom Gesetzgeber auch in § 370 III 2 Nr. 1 AO vorgegebenen Wertungen auszurichten. Das gilt auch für die konkrete Strafzumessung innerhalb des gefundenen Strafrahmens, und zwar auch beim Normalstrafrahmen des § 370 I AO. Gerade auch bei der Bemessung der schuldangemessenen Strafe kommt dem Merkmal „großes Ausmaß“ Bedeutung zu, weil es aufzeigt, wann der Gesetzgeber eine Freiheitsstrafe (mit erhöhtem Mindestmaß) für angebracht hält. Dazu bedarf das Merkmal einer näheren Konturierung.

Der BGH ist der Ansicht, dass insoweit vergleichbare Kriterien wie für das wortgleiche Merkmal in § 263 III 2 Nr. 2 Alt. 1 StGB (besonders schwerer Fall des Betruges) zur Anwendung kommen müssen.

a) Nach der Rechtsprechung des BGH (BGHSt 48, S. 360) erfüllt ein Vermögensverlust von mehr als 50000 EUR beim Regelbeispiel des besonders schweren Falles des Betrugs (§ 263 III 2 Nr. 2 Alt. 1 StGB) das Merkmal „in großem Ausmaß“.

Der Umstand, dass sich die Betragsgrenze von 50000 EUR an derjenigen des Vermögensverlustes großen Ausmaßes i.S.v. § 263 III 2 Nr. 2 Alt. 1 StGB orientiert, bedeutet zugleich, dass – ähnlich wie beim Betrug – zwischen schon eingetretenem Vermögensverlust und einem Gefährdungsschaden zu differenzieren ist.

Die Betragsgrenze von 50000 EUR kommt namentlich dann zur Anwendung, wenn der Täter ungerechtfertigte Zahlungen vom Finanzamt erlangt hat, etwa bei Steuererstattungen durch Umsatzsteuerkarusselle, Kettengeschäfte oder durch Einschaltung von sog. Serviceunternehmen. Ist hier – der „Steuerbetrug“ hat zu einem „Vermögensverlust“ geführt – diese Wertgrenze überschritten, dann ist das Merkmal erfüllt.

Beschränkt sich das Verhalten des Täters dagegen darauf, die Finanzbehörden pflichtwidrig über steuerlich erhebliche Tatsachen in Unkenntnis zu lassen und führt das lediglich zu einer Gefährdung des Steueranspruchs, dann kann das „große Ausmaß“ höher angesetzt werden. Der BGH hält hierbei eine Wertgrenze von 100000 EUR für angemessen.

Ob die Schwelle des „großen Ausmaßes“ überschritten ist, ist für jede einzelne Tat im materiellen Sinne gesondert zu bestimmen. Dabei genügt derjenige Erfolg, der für die Vollendung der Steuerhinterziehung ausreicht (vgl. Franzen/Gast/Joecks SteuerstrafR, 6. Aufl., § 370 AO, Rn. 268). Der BGH ist der Ansicht, dass bei mehrfacher tateinheitlicher Verwirklichung des Tatbestandes der Steuerhinterziehung das „Ausmaß“ des jeweiligen Taterfolges zu addieren ist, da in solchen Fällen eine einheitliche Handlung i.S.d. § 52 StGB vorliegt, die für die Strafzumessung einer einheitlichen Bewertung bedarf.

b) Liegt nach diesen Maßstäben eine Hinterziehung von „großem Ausmaß“ vor, so hat dies – unabhängig von der Frage, ob die Regelwirkung einer besonders schweren Steuerhinterziehung im konkreten Fall zur Anwendung kommt – „Indizwirkung“, freilich auch nicht mehr, für die zu findende Strafhöhe. Das bedeutet:

Jedenfalls bei einem sechsstelligen Hinterziehungsbetrag wird die Verhängung einer Geldstrafe nur bei Vorliegen von gewichtigen Milderungsgründen noch schuldangemessen sein. Bei Hinterziehungsbeträgen in Millionenhöhe kommt eine aussetzungsfähige Freiheitsstrafe nur bei Vorliegen besonders gewichtiger Milderungsgründe noch in Betracht (vgl. BGH NStZ-RR 2007, S. 176 (178)).

Schon deswegen wird bei der letztgenannten Fallgestaltung (Millionenbetrag) ein Strafbefehlsverfahren regelmäßig nicht geeignet erscheinen (vgl. § 400 AO i.V.m. § 407 StPO). Hinzu kommt, dass bei Steuerverkürzungen in dieser Größenordnung in der Regel auch das Informationsinteresse der Öffentlichkeit an der Wahrung der Gleichbehandlung vor Gericht – das eine öffentliche Hauptverhandlung am besten gewährleistet – nicht gering zu achten ist (vgl. § 407 I 2 StPO).

c) Die „Indizwirkung“ des „großen Ausmaßes“ kann einerseits durch sonstige Milderungsgründe beseitigt, andererseits aber auch durch Strafschärfungsgründe verstärkt werden.

aa) Ein die Indizwirkung des Hinterziehungsbetrages beseitigender Milderungsgrund ist etwa gegeben, wenn sich der Täter im Tatzeitraum im Wesentlichen steuerehrlich verhalten hat und die Tat nur einen verhältnismäßig geringen Teil seiner steuerlich relevanten Betätigungen betrifft. Bedeutsam ist daher das Verhältnis der verkürzten zu den gezahlten Steuern. Hat sich der Täter vor der Tat über einen längeren Zeitraum steuerehrlich verhalten, ist auch dies in den Blick zu nehmen. In die vorzunehmende Gesamtwürdigung ist auch die Lebensleistung und das Verhalten des Täters nach Aufdeckung der Tat einzubeziehen, etwa ein (frühzeitiges) Geständnis, verbunden mit der Nachzahlung verkürzter Steuern oder jedenfalls dem ernsthaften Bemühen hierzu. Der „Schadenswiedergutmachung“ durch Nachzahlung verkürzter Steuern kommt schon im Hinblick auf die Wertung des Gesetzgebers im Falle einer Selbstanzeige (§ 371 AO) besondere strafmildernde Bedeutung zu.

bb) Gegen eine Geldstrafe oder – bei entsprechend hohem Hinterziehungsbetrag – eine aussetzungsfähige Freiheitsstrafe spricht es insbesondere, wenn der Täter Aktivitäten entfaltet hat, die von vornherein auf die Schädigung des Steueraufkommens in großem Umfang ausgelegt waren, etwa weil der Täter unter Vorspiegelung erfundener Sachverhalte das „Finanzamt als Bank“ betrachtete und in erheblichem Umfang ungerechtfertigte Vorsteuererstattungen erlangt hat oder weil der Täter die Steuerhinterziehung in sonstiger Weise gewerbsmäßig oder gar „als Gewerbe“ betrieb. Gleiches gilt auch für den Aufbau eines aufwendigen Täuschungssystems, die systematische Verschleierung von Sachverhalten und die Erstellung oder Verwendung unrichtiger oder verfälschter Belege zu Täuschungszwecken.

Strafschärfende Bedeutung hat es zudem, wenn der Täter besondere Unternehmensstrukturen aufgebaut hat, die auch der Bereicherung durch Steuerhinterziehung dienen sollten, wenn der Täter das Ziel verfolgt hat, das Steueraufkommen durch wiederholte Tatbegehung über einen längeren Zeitraum nachhaltig zu schädigen, wenn er andere Personen verstrickt hat, wenn er systematisch Scheingeschäfte getätigt oder Scheinhandlungen vorgenommen hat (vgl. § 41 II 1 AO) oder wenn er in größerem Umfang buchtechnische Manipulationen vorgenommen oder gezielt durch Einschaltung von Domizilfirmen im Ausland oder Gewinnverlagerungen ins Ausland schwer aufklärbare Sachverhalte geschaffen hat (vgl. auch die Beispiele bei Schäfer/Sander/van Gemmeren Praxis der Strafzumessung, 4. Aufl., Rn. 1018 m. w.N). Solche Umstände sind bei anpassungsfähigen Hinterziehungssystemen, wie etwa den sog. Umsatzsteuerkarussellgeschäften, bei Kettengeschäften unter Einschaltung sog. „Serviceunternehmen“ und im Bereich der illegalen Arbeitnehmerüberlassungen regelmäßig gegeben (vgl. BGH NStZ-RR 2007, S. 176 (178)).

4. Für die Steuerhinterziehungen, die seit dem 1. 1. 2008 – dem Inkrafttreten der neuen Fassung des § 370 III 2 Nr. 1 AO durch das Gesetz zur Änderung der Telekommunikationsüberwachung und anderer verdeckter Ermittlungsmethoden sowie zur Umsetzung der Richtlinie 2006/24/EG v. 21. 12. 2007 (BGBl I, 3198) – begangen wurden, kommt der Streichung des subjektiven Merkmals „aus grobem Eigennutz“ aus dem Regelbeispiel zusätzliches Gewicht zu. Hier erfüllt schon das objektive Merkmal „großes Ausmaß“ – wie es oben vom Senat bestimmt wurde – das Regelbeispiel des besonders schweren Falles des § 370 III 2 Nr. 1 AO (vgl. insgesamt BGH, NStZ 2009, S. 271-273).



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