Es ist üblich, sich bei Eintritt des Gerichts in den Gerichtssaal von dem Sitzplatz zu erheben.
Man mag dies kritisieren, in dem Sinne, dass hierin eine gewisse Obrigkeitsstruktur gefördert wird und es einem Unterverwerfungsritual gleichkomme. Man kann das aber auch anerkennen, in dem Sinne, dass das Erheben die Haltung gesteigerter Verantwortung symbolisiert und den Ernst, die einer strafgerichtlichen Verhandlung mit ihrer oft schicksalhaften Bedeutung für den Angeklagten innewohnt.
Eine gesetzliche Vorschrift für das Erheben vor Gericht gibt es jedenfalls nicht. Lediglich Richtlinien für das Strafverfahren (ohne Gesetzeskraft) weisen darauf hin, dass beim Eintritt des Gerichts zu Beginn der Sitzung, sich sämtliche Anwesende von ihren Plätzen erheben (sollen).
Der Angeklagte, der sitzenbleibt
Was geschieht aber, wenn sich ein Anwesender hieran nicht halten will, also nicht aufstehen möchte, beim Eintritt des Gerichts? Ist hierin ein ungebührliches Verhalten i.S.d. § 178 Gerichtsverfassungsgesetz (GVG) zu sehen, nach dem Ordnungsgeld oder Ordnungshaft gegen Anwesende einer Gerichtsverhandlung festgesetzt und sofort vollstreckt werden kann, wenn diese sich einer Ungebühr schuldig gemacht haben? Es kommt darauf an, so die stete Rechtsprechung.
In einem Fall, den das Oberlandesgericht (OLG) Köln jüngst zu entscheiden hatte, weigert sich ein Angeklagter nach Unterbrechung der Hauptverhandlung wegen einer Mittagspause beharrlich nach Wiedereintritt des Gerichts aufzustehen. Ungebührlich, so das Votum des solcherart behandelten Gerichts: 200 € Ordnungsgeld.
Ungeheuerlich, nicht gleich ungebührlich
Gegen diesen Beschluss hatte der Angeklagte Beschwerde eingelegt. Mit Erfolg:
„In der Rechtsprechung und in der Literatur ist überwiegend anerkannt, dass das demonstrative Sitzenbleiben bei Betreten des Sitzungssaals durch das Gericht zu Beginn einer Sitzung, bei der Vereidigung von Zeugen oder Sachverständigen oder bei der Verkündung der Urteilsformel ein ungebührliches Verhalten darstellen kann, insbesondere, wenn dies trotz mehrfacher Aufforderung des Vorsitzenden in der Absicht geschieht, das Gericht zu provozieren oder herabzusetzen (…). Das bloße Sitzenbleiben beim Eintreten des Gerichts nach vorangegangener Sitzungspause stellt indes nach zutreffender Ansicht für sich allein keine Ungebühr im Sinne des § 178 GVG dar, und zwar selbst dann nicht, wenn es üblich wäre, dass sich die im Sitzungssaal Anwesenden auch in diesem Fall von ihren Plätzen erheben (…). Denn anders als der Beginn einer Sitzung stellt deren Fortsetzung nach einer Pause keinen besonderen Verfahrensabschnitt dar, der einer Verdeutlichung durch die äußere Form des Aufstehens der im Sitzungssaal Anwesenden bedarf, was auch die Regelung der Nr. 124 II RiStBV verdeutlich“ (OLG Köln, Beschl. v. 31.8.2015 ? 2 Ws 449/15).
Nicht alles, was ein Gericht als ungeheuerlich empfindet, ist auch ungebührlich: „Nicht der Person des Richters gebührt das Sicherheben bei Eintritt in die Verhandlung, sondern seinem Richteramt“ (OLG Koblenz, Beschluß vom 02.12.1983 – 2 Ws 647/83). Manch einem fällt diese Abstraktion eben schwer.