Das Oberlandesgericht (OLG) Hamburg hat am 27. 03. 2009 folgendes Urteil erlassen und sich damit gegen die Rechtsprechung andere Gerichte ausgesprochen (OLG Hamburg, Az: 3-13/09):

Nach § 142 Abs. 1 StGB wird bestraft, wer sich nach einem Unfall im Straßenverkehr in Kenntnis seiner Unfallbeteiligung unerlaubt vom Unfallort entfernt. Unfallort ist die Stelle, an der sich das schädigende Ereignis zugetragen hat, einschließlich der unmittelbaren Umgebung, in der die beteiligten Fahrzeuge zum Halten gekommen sind bzw. hätten kommen können und in der die Unfallbeteiligten für feststellungsbereite Personen noch als warte- und auskunftspflichtig zu erkennen sind (Fischer, StGB, 56. Aufl. 2009, § 142 Rn. 20 m.w.N.). Der Radius des Unfallortes lässt sich nicht abstrakt bestimmen, sondern hängt von den Umständen des Einzelfalles ab. Jedenfalls nicht zum Unfallort gehören Orte außerhalb von dessen Sichtweite (Fischer, a. a. O.).

Nach den Feststellungen erhielt der Angeklagte Kenntnis von seiner Unfallbeteiligung im Verkehrsstrafrecht erst, nachdem er im innerstädtischen Verkehr nach Passieren mehrerer Ampeln und Abbiegen in eine andere Straße 1,5 km weitergefahren war und somit den Unfallort längst verlassen hatte. Eine Strafbarkeit nach § 142 Abs. 1 StGB ist ausgeschlossen, wenn der Täter erst an einem anderen als dem Unfallort vom Unfall erfahren hat (BGHSt 28, S. 130 (131)).

Derjenige, der in Unkenntnis einen Unfall verursacht zu haben, den Unfallort mit seinem Fahrzeug verlässt und danach eine gewisse Strecke (hier 1, 5 km) in dieser Unkenntnis zurücklegt, wird nicht wegen unerlaubten Entfernens vom Unfallort gemäß § 142 Abs. 1 Strafgesetzbuch (StGB) bestraft.

Entgegen der Auffassung des Landgerichts wurde der 1,5 km vom Unfallpunkt entfernte Anhalteort auch nicht etwa dadurch zum Unfallort, dass der Unfall im fließenden Verkehr geschah und der Geschädigte als eine feststellungsbereite Person, den Angeklagten verfolgt hatte. Für die Bestimmung der räumlichen Grenze des Unfallortes kommt es auf die Sicht feststellungsbereiter Personen an, die am Ort des Geschehens bleiben und nicht etwa die Verfolgung des Täters aufnehmen.

Allerdings soll nach Auffassung des OLG Düsseldorf ein Unfallbeteiligter den Straftatbestand des § 142 Abs. 1 Nr. 1 StGB auch dann verwirklichen, wenn er den Unfall nicht bemerkt, deshalb seine Fahrt zunächst fortsetzt, aber noch innerhalb eines räumlichen und zeitlichen Zusammenhangs mit dem Unfallgeschehen von diesem erfährt (OLG Düsseldorf, NStZ RR 2008, S. 88). Das OLG Düsseldorf stützt diese Auffassung auf ein obiter dictum des Bundesverfassungsgerichts, nach dem § 142 Abs. 1 StGB – anders als § 142 Abs. 2 StGB – keinen abgeschlossenen Sachverhalt des Sich-Entfernt-Habens voraussetze, sondern ein Entfernensvorsatz grundsätzlich bis zur Beendigung der Tat durch ein erfolgreiches Sich-Entfernt-Haben gebildet werden kann, so dass durch § 142 Abs. 1 StGB Fälle erfasst werden können, in denen der Täter nachträglich auf den Unfall hingewiesen wird und sich – gleichwohl – weiter – von der Unfallstelle entfernt (BVerfG, Beschl.v. 19.03.2007, NJW 2007, S. 1666 (1668)).

Der Begriff des Unfallortes in § 142 StGB muss stets objektiv bewertet werden.

Das Oberlandesgericht Hamburg folgt dieser Auffassung, die im Schrifttum überwiegend auf Ablehnung gestoßen ist (vgl. statt vieler Fischer, a.a.O., Rn. 20, 52) nicht.

Das Gericht hält es für zwingend, den Begriff des Unfallortes im Sinne des § 142 Abs. 1 StGB als Teil des objektiven Tatbestandes auch objektiv zu bestimmen und nicht etwa davon abhängig zu machen, ob der Unfallbeteiligte sogleich Kenntnis vom Unfall hatte oder nicht. Hätte der Angeklagte den Unfall beim Überholen bemerkt, hätte er den Tatbestand des § 142 Abs. 1 Nr. 1 StGB – unerlaubtes Verlassen des Unfallortes – durch Weiterfahren trotz Haltemöglichkeit schon nach wenig mehr als 100 m verwirklicht. Für den Fall unvorsätzlicher Tatbestandsverwirklichung kann nichts anderes gelten.

Ebenso wenig sind Überlegungen zu einem erst nach Vollendung, aber vor Beendigung gefassten Vorsatz des Täters geeignet, eine Strafbarkeit des Angeklagten nach § 142 Abs. 1 StGB zu begründen. Nach § 15 StGB muss der Täter Vorsatz zum Zeitpunkt der Tathandlung haben, ein nachträglich gefasster Vorsatz ist bedeutungslos (Fischer, a. a. O., § 15 Rn. 4 m.w.N.). Ein erst nach Vollendung, aber vor Beendigung gefasster Vorsatz ist nur in Fällen sukzessiver Beihilfe oder Mittäterschaft denkbar, die aber immer eine durch einen anderen vorsätzlich begangene, vollendete Tat voraussetzen. Der Alleintäter, der vorsatzlos den objektiven Tatbestand des § 142 Abs. 1 StGB vollendet – hier: in Unkenntnis seiner Unfallbeteiligung den Unfallort verlässt – macht sich durch die Weiterfahrt trotz nunmehr erlangter Kenntnis vom Unfall nicht nach § 142 Abs. 1 StGB strafbar.

Ein sukzessiv – nach Vollendung, aber vor Beendigung – gefasster Vorsatz, kommt für den Alleintäter nicht in Betracht.

Eine Strafbarkeit gemäß § 142 Abs. 2 Nr. 2 StGB kommt ebenfalls nicht in Betracht, weil das berechtigte oder entschuldigte Entfernen vom Unfallort wegen Verstoßes gegen das Analogieverbot aus Art. 103 Abs. 2 GG nicht mit dem vorsatzlosen Entfernen vom Unfallort gleichzusetzen ist (BVerfG NJW 2007, S. 1666; vgl. insges. OLG Hamburg, Urteil vom 27. 03. 2009, Az: 3-13/09).

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