Das Landgericht Aurich hat eine Entscheidung des Amtsgerichts Emden auf die Beschwerde des Beschuldigten aufgehoben. Die Beschwerde gemäß § 304 StPO richtete sich gegen einen Haftbefehl des Amtsgerichts Emden und gegen einen Beschluss des Amtsgerichts Emden, durch den die Fortdauer der Untersuchungshaft angeordnet wurde.

Das Landgericht Aurich begründete seine Entscheidung wie folgt:

„Zwar ist das Amtsgerichts Emden bei Erlass sowohl des Haftbefehls als auch des Aufrechterhaltungsbeschlusses zu Recht davon ausgegangen, dass der Angeklagte der im Haftbefehl aufgeführten Taten dringend verdächtig ist. Wegen weiterer Einzelheiten wird insoweit auf die angefochtenen Beschlüsse Bezug genommen.

Es besteht allerdings nach derzeitiger Sachlage weder der Haftgrund der Flucht gem. § 112 Abs. 2 Nr. 1 StPO, noch der Haftgrund der Fluchtgefahr gem. § 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO.

Der Haftgrund der Flucht besteht nur dann, wenn der Beschuldigte flüchtig ist oder sich verborgen hält (…).

Beides ist hier jedoch nicht der Fall:

Zum einen ist ein Ausländer nicht flüchtig, der sich – wie hier – in sein Heimatland zurückbegibt, ohne dass dies mit seiner Straftat im Zusammenhang steht (…). Der Angeklagte lebte und lebt mit seiner Familie (Verlobte und einem Kind) in Polen. Angesichts dessen ist nicht sicher davon auszugehen, dass sich dieser – so wie im Haftbefehl ausgeführt – bewusst „abgesetzt“ haben soll, um sich dem Verfahren zu entziehen. So kann es durchaus möglich sein, dass der Angeklagte vielmehr aufgrund seiner familiären Bindungen nach Polen zurückgekehrt ist.

Zum anderen hielt und hält sich der Angeklagte auch nicht verborgen. Denn verborgen hält sich nur derjenige, der unangemeldet, unter falschem Namen oder an einem unbekannten Ort lebt, um sich dem Verfahren zu entziehen (…). Ausweislich des Melderegisterauszuges (…) verfügt der Angeklagte aber über einen festen Wohnsitz und damit ladungsfähige Anschrift in Polen.

Der Haftgrund der Fluchtgefahr wiederum ist gegeben, wenn es die Würdigung der Umstände des Falles wahrscheinlicher macht, dass sich der Angeklagte dem Strafverfahren entziehen, als dass er sich diesem zur Verfügung halten werde (…). Eine derartige Würdigung der Verfahrensumstände begründet im vorliegenden Fall allerdings auch keine Fluchtgefahr:

Der Umstand allein, dass jemand – sei es auch als Ausländer – seinen Wohnsitz im Ausland hat und demgemäß – wie hier – über keine tragfähigen sozialen Bindungen im Inland verfügt, vermag eine Fluchtgefahr nicht zu begründen (…). Ein Ausländer, der sich ohne Fluchtwillen in sein Heimatland zurückbegeben hat, ist daher nur fluchtverdächtig, wenn er erklärt, er werde sich dem Verfahren nicht stellen (…). Hier aber hat der Angeklagte – sogar unter Anerbieten einer Sicherheitsleistung – sich dazu bereit erklärt, dem Verfahren zu stellen.

Daran vermag auch die Straferwartung nichts zu ändern. Zum einen liegen die hier angeklagten Taten fast zwölf Jahre zurück. Der Angeklagte ist seit dem Jahr 2000 zumindest nicht mehr in Deutschland strafrechtlich in Erscheinung getreten. Zum anderen begründet bei einem Beschuldigten mit Wohnsitz im Ausland selbst eine Straferwartung von weit über einem Jahr keine Fluchtgefahr (…).

Schließlich kann auch aus der Tatsache, dass der Angeklagte zum Hauptverhandlungstermin am 24.09.2002 nicht erschienen ist, keine Fluchtgefahr hergeleitet werden. Zwar befindet sich in der Akte (…) ein von einer polnischen Behörde ausgefertigtes Zustellungszeugnis. Aus diesem ergibt sich jedoch, dass sich der Angeklagte zum Zustellungszeitpunkt nicht – wie ursprünglich adressiert (…) – an seinem Wohnsitz, sondern vielmehr in Untersuchungshaft in Polen befand. Angesichts dessen kann nicht mehr sicher festgestellt werden, ob die Gefangenenzustellung ordnungsgemäß erfolgt ist und ihn die Ladung auch tatsächlich erreicht hat, zumal der Angeklagte bei dem Hafttermin vor dem Amtsgericht Emden deren Erhalt bestritten hat“ (s.h. insgesamt: LG Aurich, Beschluss vom 10.03.2010 – 12 Qs 51/10).

Der Angeklagte war sofort aus der Untersuchungshaft zu entlassen.

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