Hat die Frau, bevor sie in den Zustand der Widerstandsunfähigkeit gerät (hier: Schlaf) in sexuelle Handlungen des Täters mit ihr eingewilligt, so sind diese Handlungen nicht objektiv unter Ausnutzung der Widerstandsunfähigkeit i.S.v. § 179 Absatz I StGB vorgenommen worden. Der Bundesgerichtshof nimmt für einen solchen Fall einen Tatbestandsirrtum an, was im Falle eines nur vorsätzlich begehbaren Delikts wie dem sexuellen Missbrauch widerstandsunfähiger Personen, Straflosigkeit bedeutet (BGH, Beschluss vom 17. 6. 2008 – 3 StR 198/08 (LG Kiel)).

Der Entscheidung lag ein Urteil des Landgerichts Kiels zu Grunde. Folgendes hatte sich zugetragen: „Nach den Feststellungen des Landgerichts erhielt der Angeklagte in den frühen Morgenstunden Besuch von 3 jungen Leuten, darunter auch der 18jährigen W, die nach einem Diskothekenbesuch bei ihm noch etwas weiterfeiern wollten. Nach einiger Zeit wurde W, müde, legte sich im Schlafzimmer des Angeklagten bekleidet auf dessen Bett und schlief ein. Später legte sich der Angeklagte neben sie, zog ihr Hose und Slip aus und drang mit seinem Glied von hinten in ihre Scheide ein, ohne dass sie davon etwas bemerkte. Als sie aus dem Schlaf erwachte und sich erschrocken aufrichtete, ließ der Angeklagte von ihr ab und entgegnete auf ihre Frage, was das solle, er habe gedacht, sie wolle das auch“ (BGH, Beschluss vom 17. 6. 2008 – 3 StR 198/08).

Das Landgericht Kiel hatte den Angeklagten wegen sexuellen Missbrauchs einer widerstandsunfähigen Person und vorsätzlicher Körperverletzung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 3 Jahren verurteilt. Zur Begründung des Urteils hat das Gericht unter anderem angegeben, dass es zwar nicht ausschließen könne, dass der Angeklagte irrig von einer Einwilligung der Frau in den Geschlechtsverkehr ausgegangen ist. Meint aber, selbst ein solcher Irrtum lasse weder den Vorsatz noch die Schuld entfallen.

Dies war rechtsfehlerhaft.

Der BGH: „Hätte die Frau, ehe sie eingeschlafen war, in sexuelle Handlungen des Angeklagten mit ihr eingewilligt, wären diese Handlungen nicht objektiv unter Ausnutzung der Widerstandsunfähigkeit i.S.v. § 179 STGB vorgenommen worden (…). Der Irrtum über ein Tatbestandsmerkmal lässt aber nach § 16 Absatz I 1 StGB den Vorsatz entfallen. Nichts anderes ergibt sich, wenn in der Einwilligung ein Rechtfertigungsgrund gesehen wird: Der Angeklagte hätte dann einen Umstand angenommen, der geeignet gewesen wäre, die Rechtswidrigkeit seines Tuns auszuschließen. Dies ist wie ein den Vorsatz ausschließender Irrtum über Tatumstände nach § 16 Absatz I 1 StGB zu bewerten“ (BGH, Beschluss vom 17. 6. 2008 – 3 StR 198/08).

Der Sachverhalt musste unter Zugrundelegung dieser Rechtslage von einer anderen Kammer des Landgerichts Kiels erneut aufgeklärt werden.