Schon seit einiger Zeit wird beklagt, dass Jugendstrafverteidigung im Vergleich zur Erwachsenenverteidigung ein häufig vernachlässigtes Berufsfeld ist, weil angenommen wird, es handele sich hier gewissermaßen um „Strafrecht light“ und weil sich ob der Mandantenschaft keine allzu große Hoffnung auf hinreichende Bezahlung gemacht wird (vgl. hierzu zuletzt Zieger, StV 2006, S. 375 ff.).

Noch länger wird bedauert, dass Pflichtverteidigung im Vergleich zur Wahlverteidigung (auch im Jugendstrafverfahren) weniger engagiert betrieben wird.

Geraume Zeit wird über § 74 JGG gestritten. Hiernach kann im Verfahren gegen einen Jugendlichen (und Heranwachsenden, § 109 II JGG) auch bei Verurteilung davon abgesehen werden, dem Angeklagten Kosten und Auslagen aufzuerlegen, sofern er die Kriterien erfüllt, die die Richtlinien zu § 74 JGG an sein soziales Umfeld stellen (abgedruckt bei Diemer/Schoreit/Sonnen, Anhang III, Richtlinien zum JGG, § 74 JGG, S. 1019). Diskutiert wird darüber, ob hierunter auch die notwendigen Auslagen des Jugendlichen – seine Wahlverteidigerkosten – fallen (vgl. u.a.: Brunner in Brunner/Dölling, § 74 JGG, Rn. 7; Eisenberg, § 74 JGG, Rn. 15a; Ostendorf, § 74 JGG, Rn. 10.).

Jugendstrafverteidiger – Eine Untersuchung im Hinblick auf § 74 JGG. So lautet der Titel der Dissertation, die hier vorgestellt werden soll.

Die Arbeit widmet sich dem Thema „Verteidigung in Jugendstrafsachen“, weil sich die Anforderungen an den Verteidiger ob der Mandantenschaft so sehr unterscheiden von denen im Erwachsenenstrafverfahren. „Jugendliche befinden sich biologisch, physisch und sozial in einem Stadium des Übergangs, das typischerweise mit Spannungen, Unsicherheiten und Anpassungsschwierigkeiten, häufig auch in der Aneignung von Verhaltensnormen, verbunden ist. Zudem steht der Jugendliche noch in einem Alter, in dem nicht nur er selbst, sondern auch andere für seine Entwicklung verantwortlich sind“ (BVerfG, 2 BvR 1673/04 vom 31.5.2006, Absatz 50). Eine solche Verantwortung trifft auch den Jugendstrafverteidiger.

In welcher Weise und welchem Umfang, wird im ersten Teil der Studie herausgefunden:

Nach einer kurzen Einführung mit einer Zusammenschau über die Funktion des Strafverteidigers im Allgemeinen, wird sich auseinandergesetzt mit der Funktion des Jugendstrafverteidigers im Besonderen. Im Weiteren wird der Fokus speziell auf das jugendliche Klientel und sich hieraus ergebende Aufgaben des Jugendstrafverteidigers gerichtet und es werden die Anforderungen an ihn in Aus- und Weiterbildung dargestellt.

Nach dieser theoretischen Einführung wird der (Jugend)-Strafverteidiger aus praktischer Sicht beleuchtet. Es wird eine Übersicht vermittelt über die bisher erschienene Empirie über den Strafverteidiger im Allgemeinen und den Jugendstrafverteidiger im Besonderen.

Sodann wird der Unterschied zwischen Wahlverteidigung und Pflichtverteidigung, der auch in der vorher abgebildeten Empirie besonders berücksichtigt wurde, dargestellt. In Augenschein genommen wird insbesondere das unterschiedliche Honorar zwischen diesen Verteidigungsarten nach dem Rechtsanwaltsgebührengesetz (RVG).

Schließlich handelt der letzte Abschnitt des ersten Teils von den Kosten des Jugendstrafverfahrens. Nach einem Überblick über die Kostenteilung im Strafverfahren im Allgemeinen, wird im Zusammenhang mit dem Jugendstrafverfahren im Besonderen ausführlich darüber diskutiert, wie § 74 JGG verstanden werden muss. Im Anschluss daran werden einige jugendstrafrechtliche Sonderprobleme im Zusammenhang mit dem neuen RVG erläutert und Lösungsvorschläge präsentiert.

Nach dem ersten Teil der Arbeit ist somit geklärt:

  • Was die besonderen Aufgaben des Jugendstrafverteidigers sind.
  • Wie er diesen Aufgaben gerecht wird.
  • Wie der bisherige Stand der Empirie über ihn ist.
  • Ob, nach bisherigen Erkenntnissen, ein Unterschied besteht zwischen Wahl- und Pflichtverteidigung.
  • Und was das Jugendstrafverfahren an kostenrechtlichen Aspekten bereithält, die den Konflikt zwischen den besonderen Aufgaben des Jugendstrafverteidigers und dem möglicherweise bestehenden Unterschied zwischen Wahl- und Pflichtverteidigung unter Umständen auflösen könnten.

Im zweiten Teil der Arbeit werden, hierauf aufbauend, die Ergebnisse der eigenen Untersuchung dargestellt:

In der Studie wurden Jugendstrafverteidiger befragt. Primär hatten die Fragen den Unterschied der Wahl- zur Pflichtverteidigung zum Thema. Ergründet wird, ob die Untersuchungsteilnehmer ihr Engagement für den Jugendlichen von der Verteidigungsart abhängig machen.

Ermittelt wird darüber hinaus, welche Auswirkung nach Meinung der Teilnehmer die Anwendung des § 74 JGG in der Weise hätte, dass darunter auch die Wahlverteidigerkosten des jugendlichen Mandanten fallen. So wird herausgefunden, ob die Jugendstrafverteidiger ihr Engagement für den Jugendlichen unter diesen Umständen ändern, ihren juristischen Schwerpunkt zum Jugendstrafrecht hinverlagern sowie ihr Engagement auch in Form von vermehrten Besuchen von Weiterbildungsveranstaltungen im Jugendstrafrecht und seinen Bezugswissenschaften verstärken würden. Hierzu hält die Untersuchung Antworten aus Sicht der Jugendstrafverteidiger bereit.

Überdies werden – neben weiterem – Ergebnisse präsentiert zu der Jugendstrafverteidigerpraxis, Aus- und Weiterbildung im Jugendstrafrecht und seinen Bezugswissenschaften sowie zu den wesentlichen Unterschieden zwischen der Erwachsenen- und Jugendstrafverteidigung.

Im dritten Teil folgen das Fazit der gesamten Arbeit und ein Ausblick auf die künftige Auslegung des § 74 JGG bzw. ein Vorschlag zu dessen Neuformulierung.

Ohne dass hier zuviel verraten werden soll, hält die Auswertung der Antworten zum Teil Überraschendes bereit. Überwiegend haben sich die Hypothesen jedoch bestätigt. Nur soviel: Nach überwiegender Ansicht der Teilnehmer der Studie, bei denen es sich (zum Teil) um gut ausgebildeten (Jugend)-Strafverteidiger mit langjähriger Berufspraxis handelte, ist die Jugend- im Vergleich zur Erwachsenenstrafverteidigung (unter anderen Verfahrensbeteiligten) weniger anerkannt. Ein großer Teil gab an, im Falle der Pflichtverteidigung im Vergleich zur Wahlverteidigung weniger engagiert zu sein. Erstaunlich viele Studienteilnehmer gaben an, dass sie ihr Engagement für das Jugendstrafverfahren und die jugendlichen Mandanten verstärken würden, wenn (unumstritten) die Möglichkeit bestünde, über § 74 JGG auch die Wahlverteidigerkosten der Staatskasse aufzuerlegen.

Das Buch richtet sich an im Jugendstrafrecht wissenschaftlich Interessierte. Es dürfte jedoch gerade auch für den im Jugendstrafverfahren auftretenden Verteidiger ein interessantes Nachschlagewerk sein, vor allem mit Blick auf den hierdurch ermöglichten Vergleich der eigenen Praxis mit der anderer Jugendstrafverteidiger.

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