Die Ermittlungsorgane der Bundesländer setzten verstärkt auf die Möglichkeiten, die das Internet zur Fahndung nach einem Tatverdächtigen bietet (§ 131b StGB). Viele Polizeibehörden fahnden nach Verdächtigen, die sie mittels Klarbildes auf ihren Internetseiten veröffentlichen. Diese zeit- und kostensparende Methode greift um sich und betrifft immer mehr auch Tatverdächtige, die von Überwachungskameras bei der vermeintlichen Begehung von so schwerwiegenden Delikten wie Diebstahl, Kreditkartenbetrug oder Sachbeschädigung gefilmt wurden.
131 b StPO: Veröffentlichung von Abbildungen des Beschuldigten
Veröffentlichungen von Fahndungsbildern und Fahndungstexten eines Tatverdächtige über das Internet fallen, wie Fahndungsaufrufe im Fernsehen oder Zeitungen oder Veröffentlichen von Steckbriefen an Litfaßsäulen, unter § 131b Abs. 1 StPO. Über die Befugnis zur Veröffentlichung der Abbildung in § 131 IV S. 1 StPO zwecks Festnahme des Beschuldigten hinaus lässt § 131b StPO die Veröffentlichung von Abbildungen (Bildaufzeichnungen von Videoüberwachungskameras, Phantombilder u.a.) zur Aufklärungsfahndung hinsichtlich des Beschuldigten und zur Identitätsfeststellung bezüglich Beschuldigter zu. Die §§ 131 ff. StPO wurden mit dem Strafverfahrensänderungsgesetz 1999 in die StPO implementiert.
Folgen bei Schaffung des § 131b StPO waren 1999 noch nicht absehbar
Die Folgen, die sich aus der Öffentlichkeitsfahndung i.S.d. § 131b StGB für den Beschuldigten ergeben, waren 1999, als die §§ 131ff. StPO geschaffen wurden, noch nicht absehbar. Soziale Netzwerke im Internet existierten damals noch nicht. Facebook wurde erst im Jahre 2004 ins Netz gestellt. Weblogs von privaten Internetusern waren die Ausnahme.
Der Zeitgeist um die Jahrtausendwende ging eher dahin, passiv im Internet zu konsumieren bzw. erst einmal Zugang zum Internet zu finden, als aktiv an der Gestaltung und Kommunikation teilzunehmen. Diesbezüglich sei an Boris Becker erinnert, der 1999 in einem bekannten Werbespot fragte: „Bin ich schon drin (im Internet), oder was“? Dieser Zeitgeist hat sich maßgeblich geändert. Wenn heute eine Fahndung im Internet mangels richterlicher Bestätigung erst eine Woche nach Veröffentlichung außer Kraft tritt (§ 131c Abs. 1 StPO), so ist das Bild des Beschuldigten samt Begleittext in den sozialen Medien theoretisch diverse Male um die Welt gegangen. Und in diesen Medien bleibt es auch und ist über eine gezielte Suche über eine Suchmaschine auf Jahrzehnte abrufbar. „Früher genügte es noch, ein Plakat nach beendeter Maßnahme abzuhängen und zu vernichten. Damit ist es nicht mehr getan: Entfernt die Polizei ein Bild von ihrer Internetseite, hat dies keine Auswirkungen auf weiterhin zirkulierende digitale Kopien“ (Schiffbauer, NJW 2014, S. 1052, 1053).
Beschluss des Amtsgerichts Bonn
Dieser ausufernden Anordnung von Öffentlichkeitsfahndungen hat das Amtsgericht Bonn in folgendem Fall – von sich aus – einen Riegel vorgeschoben:
„Am 9.3.2016 betrat gegen 13 Uhr eine unbekannte weibliche Person die Verkaufsräumlichkeiten der Fa. F G in C und entnahm dort aus den Auslagen Kinderbekleidung im Wert von insgesamt 95,92 €. Bevor sie die Räumlichkeiten verlassen konnte, wurde sie im Kassenbereich von einer Mitarbeiterin angesprochen. Die entwendete Ware ließ sie daraufhin zurück und verließ, ohne sich auszuweisen, die Geschäftsräumlichkeiten. Am 22.3.2016 fand sich Beamten eine Mitarbeiterin der Firma F G bei der Polizei ein. Nachdem ihr dort „Video-Beweismaterial der SWB“ vorgelegt wurde, will die Zeugin die „flüchtige Tatverdächtige“ in einem Linienbus wieder erkannt haben. Diese Abbildungen sollen nunmehr auf Antrag der StA uneingeschränkt im Internet veröffentlicht werden“ (AG Bonn, NStZ-RR 2016, S. 248).
Das Amtsgericht begründete seine Entscheidung wie folgt:
„Ungeachtet dessen ob die Auswertung des Video-Beweismaterials in einem Strafprozess brauchbar wäre, liegt schon keine Straftat von erheblicher Bedeutung i.?S. des § STPO § 131?b StPO vor. Die tatbestandliche Voraussetzung einer Straftat von erheblicher Bedeutung bringt das Übermaßverbot zum Ausdruck und stellt klar, dass eine Öffentlichkeitsfahndung bei geringfügigen Straftaten untersagt ist (…). Maßgeblich für eine Beurteilung der Erheblichkeitsschwelle ist eine einzelfallbezogene Beurteilung, da der Gesetzgeber bewusst (z.?B. in Abweichung von § STPO § 98?a STPO § 98A Absatz I StPO) auf einen konkretisierenden Deliktskatalog verzichtet hat. Es ist daher gerade nicht ausreichend, dass es sich um ein Delikt handelt, bei dem der Schaden die Geringwertigkeitsgrenze lediglich überschreitet. Das Gewicht der Straftat muss vielmehr so groß sein, dass der mit einer Öffentlichkeitsfahndung verbundene intensive Eingriff in das Persönlichkeitsrecht angemessen und verhältnismäßig ist (…).
Mit Rücksicht darauf ist der in Betracht kommende Strafrahmen für sich genommen kein taugliches Kriterium, zumal im Zeitpunkt der Veröffentlichung nicht ansatzweise eingeschätzt werden kann, welche Strafe konkret im Raum steht; der in Betracht kommende Strafrahmen vermag daher nur ein Gesichtspunkt für die Bewertung der Bedeutung der Straftat sein. Als weitere Anknüpfungspunkte für die Beurteilung der Erheblichkeitsschwelle sind heranzuziehen die konkrete Vorgehensweise, das Maß an krimineller Energie sowie die Rechtsfolgen der Tat, soweit diese hinreichend prognostizierbar sind. Dabei ist zu berücksichtigen, dass insbesondere bei Veröffentlichungen im Internet und in Printmedien, die auf eine aktive Beteiligung des Bürgers zielen, bei der eine allzu häufige Inanspruchnahme der Massenmedien die Bereitschaft der Öffentlichkeit, an der Aufklärung von Straftaten mitzuwirken, erlahmen kann.
Vorliegend sprechen bei einer einzelfallbezogenen Betrachtung alle vorgenannten Kriterien gegen die Annahme einer Straftat von erheblicher Bedeutung i.S. des § STPO § 131b StPO. Der Wert des Diebstahlgutes überschreitet die Geringwertigkeitsgrenze zwar, allerdings nicht in erheblichem Maße. Die konkrete Vorgehensweise lässt keinerlei Rückschlüsse auf eine gewerbsmäßige Vorgehensweise zu und ist Alltags- bzw. der Kleinkriminalität zuzuordnen; die Täterin war offenbar noch nicht einmal imstande, die elektronischen Sicherungsetiketten zu entfernen. Darüber hinaus ist der Fa. F G tatsächlich kein Schaden entstanden; die Ware ist unbeschädigt bei der Eigentümerin verblieben.
Letzthin ist der Antrag auf einschränkungslose Veröffentlichung aber im Hinblick auf den erheblichen Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht auch unverhältnismäßig. Eine im Ergebnis zeitlich unbegrenzte und irreversible Veröffentlichung im Internet scheidet angesichts des geringen Schadens und vor dem Hintergrund, dass die Lichtbildaufnahmen keinen objektiv nachvollziehbaren unmittelbaren Tatzusammenhang haben, von vornherein aus. Eine Veröffentlichung in den örtlichen Printmedien wäre allenfalls verhältnismäßig, wenn dem zunächst ein (nicht genehmigungsbedürftige) Veröffentlichung im Intranet der Polizei vorangegangen wäre“ (AG Bonn, NStZ-RR 2016, S. 248).
Hat es echt Recht, das Amtsgericht Bonn.