Hat sich der Vater des Amokläufers von Winnenden der fahrlässigen Tötung in sechszehn Fällen strafbar gemacht?

Laut Medienberichten ermittelt die Staatsanwaltschaft gegen den Vater des Amokläufers von Winnenden wegen fahrlässiger Tötung in sechszehn Fällen, weil der Sohn fünfzehn Menschen und sich selbst erschossen hat. Dabei wird dem Vater vorgeworfen, dass er die Tatwaffe unbeaufsichtigt im Schlafzimmer hat liegen lassen, anstatt diese wegzuschließen.

Reicht dieses Verhalten für die Strafbarkeit der fahrlässigen Tötung in sechzehn Fällen? Die fahrlässige Tötung ist in § 222 Strafgesetzbuch (StGB) geregelt. Hiernach wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft, wer durch Fahrlässigkeit den Tod eines anderen Menschen verursacht. Prüft man diesen Tatbestand schulmäßig, gelangt man zu der Erkenntniss, dass dem Vater ein Fahrlässigkeitsschuldvorwurf nicht wird gemacht werden können. Doch der Reihe nach.

Zunächst einmal bedarf es der Prüfung, ob dem Vater ein objektiv fahrlässiges Verhalten vorgeworfen werden kann, weil er die Tatwaffe unverschlossen hat im Schlafzimmer liegen lassen.

Der tatbestandliche Erfolg (so wird die tatbestandlich vorausgesetzte Folge bezeichnet) ist eingetreten. Tim K. hat fünfzehn Menschen getötet und danach sich selbst gerichtet. Dabei war die Handlung des Vaters auch kausal für die Handlung des Sohnes. Hätte der Vater die Tatwaffe nicht unverschlossen im Schlafzimmer liegen lassen, hätte der Sohn diese nicht mühelos an sich nehmen und damit seinen Amoklauf begehen können.

Der Vater müsste weiter objektiv sorgfaltspflichtwidrig gehandelt haben. Die Sorgfaltspflichtverletzung stellt das unverschlossene Liegenlassen der Tatwaffe dar. Dabei ergibt sich die Sorgfaltspflicht aus § 36 Waffengesetz (WaffG), der vorschreibt, dass Waffen und Munition besonders verwahrt werden müssen, damit unbefugte Dritte diese nicht an sich nehmen. Es liegt auch objektiv nicht außerhalb aller Lebenswahrscheinlichkeit, dass sich ein unbefugter Dritter eine herumliegende Waffe greift und damit andere Menschen oder sich selbst tötet.

Hätte der Vater die Tatwaffe, wie seine anderen Waffen, in einem verschlossenen Schrank aufbewahrt und also sorgfaltspflichtgemäß gehandelt, wäre der tatbestandsmäßige Erfolg nicht eingetreten, sodass auch der Pflichtwidrigkeitszusammenhang gegeben ist. § 36 WaffG soll auch gerade verhindern helfen, dass unbefugte Dritte an Waffen gelangen können, um hiermit Schaden anzurichten.

Der Schutzzweckzusammenhang ist jedenfalls hinsichtlich der fünfzehn Menschen, die sein Sohn tötete ebenfalls erfüllt. In Bezug auf den Suizid seines Sohnes scheidet eine Verantwortung des Vaters schon hier aus. Der Schutzzweck einer Norm (hier der des § 36 WaffG) endet beim eigenen Verantwortungsbereich des Geschützten (hier des Sohnes).

Der Vater handelte auch rechtwidrig, weil keinerlei Rechtfertigungsründe für das unverschlossene Liegenlassen der Waffe in Betracht kommen.

Die entscheidende Frage ist, ob der Vater auch subjektiv sorgfaltspflichtwidrig und damit schuldhaft handelte.

Maßgeblich für die Annahme der subjektiven Sorgfaltspflicht sind die persönlichen Verhältnisse und Fähigkeiten des Täters. Der Vater muss also in der Lage gewesen sein, die tatsächlichen Qualitäten seines Handelns oder dessen verbotenen Erfolg zu erkennen bzw. vorherzusehen. Dabei stehen Sorgfaltspflicht und Voraussehbarkeit in engen Wechselbeziehungen. Auf Ereignisse, die man nicht vorhersehen kann, kann man sich nicht einstellen, braucht sie also bei der Überlegung der notwendigen Sorgfalt nicht zu berücksichtigen. Nach der Rechtsprechung muss der Erfolg nur im Endergebnis voraussehbar gewesen sein, nicht auch der Ablauf der Ereignisse. Die Verantwortlichkeit soll aber für solche Ereignisse entfallen, die „so sehr außerhalb aller Lebenserfahrung liegen, dass sie der Täter auch bei der nach den Umständen des Falls gebotenen und ihm nach seinen persönlichen Fähigkeiten und Kenntnissen zuzumutenden sorgfältigen Überlegungen nicht zu berücksichtigen brauchte“ (RG 73, S. 372).

Konnte der Vater von Tim K. also erkennen, das, wenn er eine Waffe unbeaufsichtigt und unverschlossen liegen lässt, sich sein Sohn die Waffe nehmen, und damit Menschen umbringen wird?

Die Frage wird man wohl mit „Nein“ beantworten müssen.

So schrecklich und unfassbar derartige Taten sind, so selten sind sie auch. Zwar ist das mediale Interesse bei solchen Taten außerordentlich groß, was die öffentliche Wahrnehmung derartiger Taten in den Fokus rückt. Trotzdem hat nur ein verschwindet geringer, gegen null tendierender Prozentteil der deutschen Jugendlichen bisher einen Amoklauf begangen. Es ist demnach nicht sehr wahrscheinlich, dass ein Junge, der bisher durch keinerlei Straftaten aufgefallen ist, sich eine herumliegende Waffe greift und damit fünfzehn Menschen hinrichtet und danach sich selbst. Etwas anderes ergibt sich meines Herachtens auch nicht daraus, dass Tim K. zu fünf Vorgesprächen in die psychiatrische Klinik in Winnenden gegangen ist, wie es die Eltern behaupten. Alleine eine mögliche Depression lässt noch nicht den Schluss auf eine nahende Tatbegehung in Form eines Amoklaufs zu. Zumal Tim K. sich mit siebzehn Jahren in einem Alter befand, in dem derlei psychischer Erkrankungen sehr häufig vorkommen.

Etwas anderes könnte sich nur daraus ergeben, dass Tim K. sich tatsächlich in stationärer Behandlung befunden und eine Psychotherapie begonnen hat, wie es die Klinikleitung behauptet. Allerdings müssten auch in diesem Fall konkrete Anhaltspunkte für die Gewaltfantasien von Tim K. vorgelegen haben und diese hätten dem Vater auch bekannt sein müssen, um ihn eine subjektive Sorgfaltspflichtverletzung vorzuwerfen.

Nur, wenn dem so gewesen sein sollte, müssten sich auch die Klinikleitung und der behandelnde Arzt eine Sorgfaltspflichtverletzung und damit fahrlässige Tötung vorwerfen lassen. Einen Präzedenzfall hierzu hat der Bundesgerichtshof im Jahr 2003 entschieden. Eine psychiatrische Klinik hatte einem psychisch gestörten Gewaltverbrecher trotz erkennbarer Gewalttätigkeit Ausgang gewährt. Der Mann tauchte unter, beging eine Serie von Raubüberfällen und brachte zwei Frauen um. Chef- und Oberarzt wurden zunächst freigesprochen, doch der Bundesgerichtshof hob die Freisprüche auf und hielt ein Urteil wegen fahrlässiger Tötung für ziemlich naheliegend: Eine Vorhersehbarkeit der Taten sei jedenfalls dann anzunehmen, wenn zwischen der «psychischen Störung und den begangenen Straftaten ein Zusammenhang besteht» – etwa, weil die Krankheit die Hemmschwelle des Täters herabgesetzt habe.

Nach alle dem, was bisher bekannt geworden ist, wird man dem Vater von Tim K. eine subjektive Sorgfaltspflichtverletzung nicht vorwerfen können. Einer fahrlässigen Tötung in sechzehn Fällen hätte er sich also nicht strafbar gemacht.

Ganz abgesehen davon sind die Folgen der Tat auch für die Eltern von Tim K. so schwerwiegend, dass – würde eine Strafbarkeit entgegen der vorgenannten Argumente angenommen – das erkennende Gericht wohl gemäß § 60 StGB von einer Bestrafung absehen würde. Hiernach kann das Gericht von der Strafe absehen, wenn die Folgen der Tat, die den Täter getroffen haben, so schwer sind, dass die Verhängung einer Strafe offensichtlich verfehlt wäre.

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