„Das Landgericht Lübeck hat den Angeklagten wegen einer Serie von 13 Sexualdelikten sowie wegen eines Wohnungseinbruchsdiebstahls zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 10 Jahren und 3 Monaten verurteilt, die Sicherungsverwahrung angeordnet und Entscheidungen im Adhäsionsverfahren getroffen“ (BGH, Beschluss vom 12. 1. 2010 – 3 StR 436/09 (LG Lübeck)).

Folgendes war geschehen: Nachdem der gerichtlich bestellte Sachverständige sein Gutachten erstattet hatte, hat die Verteidigung beantragt, „hilfsweise für den Fall, dass die erkennende Kammer entgegen der Einschätzung des Sachverständigen Dr. B zu dem Ergebnis kommt, dass bei dem Angekl. ein Hang zur Begehung von Straftaten i.S.d. § 66 StGB vorliegt und auch die übrigen Voraussetzungen einer Sicherungsverwahrung gegeben sind, ein weiteres Sachverständigengutachten zur Frage eines Hanges des Angeklagten zu weiteren erheblichen Straftaten einzuholen.” Mit dem Gutachten solle einer von 2 namentlich benannten Psychiatern beauftragt werden, die als „anerkannte Kapazitäten auf dem Gebiet der Feststellung eines ‚Hanges’” überlegene Forschungs- und Erkenntnismittel erworben hätten. Durch das Gutachten seien deshalb „weitergehende und intensive Erkenntnisse” zu erwarten.

Die Strafkammer hat den Antrag abgelehnt und dies damit begründet, sie habe durch die Anhörung des Sachverständigen ausreichende eigene Sachkunde erlangt. Dass der Sachverständige zu dem Ergebnis gekommen sei, die Sicherungsverwahrung „könne nicht empfohlen werden”, beruhe lediglich darauf, dass er der unzutreffenden Auffassung sei, ein Hang sei deshalb nicht anzunehmen, weil der Angekl. nur einen Teil der von Habermeyer und Saß aus der Literatur (ersichtlich Habermeyer/Saß Nervenarzt 2004, 1061, 1066f.) zusammengestellten Kriterien erfülle und weil der Sachverständige den rechtlich verfehlten Schluss gezogen habe, die Gefährlichkeit könne deshalb nicht festgestellt werden, weil nicht sicher vorherzusagen sei, dass der Angeklagte auch nach einer Therapie rückfällig werde (BGH – 3 StR 436/09).

Der Beschwerdeführer  ist der Ansicht, „der Antrag hätte „nur dann” abgelehnt werden können, wenn durch das frühere Gutachten das Gegenteil der behaupteten Tatsache bereits erwiesen sei. Da der frühere Gutachter einen Hang des Angeklagten indes ausdrücklich verneint habe, hätte der Beweis erhoben werden müssen.

Darauf meint der Senat zum wiederholten Mal Stellung beziehen zu müssen zu dem Klassiker: Der Beweisantrag und der dumme Verteidiger.

„Es erscheint bereits in zweifacher Weise zweifelhaft, ob es sich vorliegend überhaupt um einen Beweisantrag handelt. Zum einen könnte es schon deshalb an einer bestimmten Beweisbehauptung fehlen, weil die Anhörung eines weiteren Sachverständigen nur „zur Frage eines Hanges des Angekl.” beantragt worden ist. Zum anderen handelt es sich bei dem Hang i.S.d. § 66 StGB um einen Rechtsbegriff, der als solcher dem Sachverständigenbeweis nicht zugänglich ist (…). Dass bei dem Angeklagten kein Hang vorliegt, kann allenfalls das Beweisziel sein, also die Folgerung, die das Gericht nach Auffassung des Ast. aus dem beantragten Sachverständigengutachten ziehen soll (…). Insofern hätte das Bestehen oder das Fehlen bestimmter tatsächlicher Umstände in der Persönlichkeit des Angekl. oder in den Taten behauptet werden müssen“ (BGH – 3 StR 436/09).

Der Senat kann sich derartige Ausführungen sparen, wenn er im Weiteren gleichwohl begründet, warum der Antrag vom Tatsachengericht korrekt abgelehnt wurde. Solcher Ausführungen bedürfte es nur, wenn es sich um einen Beweisantrag gehandelt hat, wovon demnach auch der Senat überzeugt sein muss. Wozu also der schulmeisterliche Exkurs?

So heißt es nämlich: In jedem Fall hat das Landgericht den Antrag ohne Rechtsfehler abgelehnt. Die Revision verkennt im Ansatz, dass die Ablehnung eines Beweisantrags wegen Erwiesenheit des Gegenteils der behaupteten Tatsache (§ 244 Absatz IV 2 StPO) nur ein weiterer, allein für den Sonderfall eines Antrags auf Anhörung eines weiteren Sachverständigen geltender Zurückweisungsgrund ist, der die übrigen Gründe des § 244 STPO nicht ausschließt. Die Ablehnung des Antrags unter Berufung auf die eigene Sachkunde ist dem Tatrichter deshalb möglich, auch wenn ihm diese erst durch den zunächst vernommenen Sachverständigen vermittelt worden ist und selbst dann, wenn er diesem Gutachter nicht folgen will (…).

Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der von der Revision zitierten Entscheidung des Senats (…). In dem dort zugrunde liegenden Fall hatte sich der Tatrichter bei der Ablehnung des Antrags auf Hinzuziehung eines weiteren Sachverständigen auf den Ablehnungsgrund des § 244 Absatz IV 2 StPO gestützt, obwohl der erste Gutachter gerade keine Anhaltspunkte für das Bestehen eines Hangs gefunden hatte. Eigene Sachkunde hatte die Strafkammer erkennbar nicht für sich in Anspruch genommen, so dass auch ein – bei Hilfsbeweisanträgen für das Revisionsgericht mögliches – Austauschen des Ablehnungsgrunds nicht in Betracht kam.

Vorliegend hat das Landgericht eigene Sachkunde, erworben aus dem ausführlichen Gutachten des gehörten Sachverständigen, in Anspruch genommen (§ 244 Absatz IV 1 StPO) und diese in den Urteilsgründen ausreichend dargelegt. Es hat zutreffend sowohl die Delinquenzentwicklung beim Angeklagten als progredient eingeschätzt als auch für die Gefährlichkeitsprognose auf den Zeitpunkt der Hauptverhandlung abgestellt und dabei den Mutmaßungen des Sachverständigen zum Erfolg einer notwendigen Therapie keine rechtliche Bedeutung beigemessen“ (BGH – 3 StR 436/09).