Es gibt derzeit zwei Geschehnisse, die die Befürworter einer (lang geführten) und heute beschlossenen grundlegenden Reform des Sexualstrafrechts als Argumente für ihre Positionen ins Feld führen: die Geschehnisse in der Silvesternacht rund um den Kölner-Hauptbahnhof und der Fall Gina-Lisa Lohfink.

Die Sylvester-Nacht in Köln

Die Sylvester-Nacht in Köln weist auf ein tatsächliches Problem hin. Das Problem in dieser Nacht war allerdings nicht der Mangel an Gesetzen, sondern vielmehr der Mangel an Polizeibeamten, die diese Gesetze durchsetzen. Deutlich wurde also keine Gesetzeslücke, wie vielfach behauptet, sondern eine „Lücke“ des Strafverfolgungsapparats. Dennoch ist geplant, einen eigens für diese spezielle Situation geschaffenen „Antanzparagraphen“ in das Strafgesetzbuch zu installieren, wonach sich zukünftig strafbar machen soll, wer mit einer Personengruppe eine andere Person zur Begehung einer Straftat „umdrängt“ und aus der Gruppe heraus sexuelle Übergriffe begangen werden. Dies ist nicht nur überflüssig. Es kann auch nicht zur Problemlösung beitragen. Überflüssig ist es, weil die bekanntgewordenen Sachverhalte schon nach heute geltender Gesetzeslage eine sexuelle Nötigung i.S.d. § 177 StGB darstellen. Heute wie zukünftig stellen sich solche Sachverhalte aber vor allem als problematisch dar, weil die Beweislage schwierig ist. Das „Opfer“ muss jeden Täter aus der Gruppe genau identifizieren. Das ist ohnehin schon schwierig, noch schwieriger in einem dynamischen Geschehen mit mehreren „Angreifern“. Das ist so und wird auch zukünftig so sein. Bestraft werden soll auch nach neuer Gesetzeslage nicht eine „Gruppe“ – was auch nicht ginge –, sondern jedes einzelne Individuum aus dieser Gruppe.

Der Fall Gina-Lisa Lohfink

Gina-Lisa Lohfink behauptet, von zwei Männern vergewaltigt worden zu sein.

Nach bisheriger Rechtslage wird entweder eine Form von Nötigung oder Gewaltanwendung verlangt, die einen entgegenstehenden Willen zu sexuellen Handlungen brechen soll oder ein Missbrauch, also praktisch eine Umgehung eines erwarteten entgegenstehenden Willens bei denjenigen, die keinen Widerstand zu leisten im Stande sind, sei es aufgrund von körperlichen oder geisteigen Defiziten.

Daneben gibt es das Tatbestandsmerkmal der Nötigung unter Ausnutzen einer schutzlosen Lage: Das Opfer muss sich in einer Lage befinden, in der es der Einwirkung des Täters schutzlos ausgeliefert ist, und der Täter muss es zu sexuellen Handlungen unter Ausnutzung dieser Lage nötigen (bspw. abgeschlossener Raum, Abwesenheiten von Dritten, etc.). Das Opfer muss unter dem Eindruck des schutzlosen Ausgeliefertseins aus Furcht vor möglichen Einwirkungen des Täters auf einen ihm grundsätzlich möglichen Widerstand verzichten. Viele von den Befürwortern der Reform ins Feld geführte „Schockstarre-Fälle“, bei denen also das Opfer nicht in der Lage ist, sich zu rühren, weil der Täter ein Klima der Angst geschaffen hat und dies so sexuellen Handlungen ausnutzt, sind also bereits heute strafbar.

Doch braucht es auch bisher weder Gewalt noch Gegenwehr, damit eine sexuelle Nötigung als solche bestraft werden kann. Dies wird aber von den Befürwortern immer wieder behauptet, um die gewünschte Reform möglichst plakativ plausibel zu machen.

„Nein heißt Nein“

Zukünftig sollen auch Handlungen strafbar sein, die schlicht das „Nein“ des Opfers übergehen. Sexuelle Nötigung begeht demnach künftig, wer „gegen den erkennbaren Willen einer anderen Person sexuelle Handlungen an dieser Person vornimmt oder von ihr vornehmen lässt“. Dies mag man richtig finden. Es wird nur nichts an der vergleichsweise geringen Verurteilungsquote im Sexualstrafrecht ändern. Im Gegenteil. Die Frau, die einen solche sexuelle Nötigung behauptet, wird sich selbstverständlich die Frage gefallen lassen müssen, wie es denn weiter gegangen ist, nachdem sie dem Mann erkennbar gezeigt hat, dass sie mit sexuellen Handlungen nicht einverstanden ist. Ist sie aufgestanden (nochmal: keine Gegenwehr) oder liegengeblieben, von dem Mann weggerückt oder näher ran, konnte der Mann andere, entgegensetzte Signale dahin deuten, dass sie ihre Ablehnung aufgegeben hat usw. Sexualität kann ein durchaus dynamisches Geschehen sein. Da wird ausprobiert und erforscht. Mit der einen Handlung bin ich einverstanden, mit der nächsten nicht. Im Nachhinein (am nächsten Tag) können sich Teile des Geschehens oder gesamte Akte in der Bewertung völlig neu darstellen. Man denke an einen „One night stand“, der hinterher bitter bereut wird: Da kann eine Umdeutung hin zu einem unerwünschten Sexualverkehr schnell zu einer Rechtfertigung gegenüber sich selbst (oder dem betrogenen Partner) werden. Vergessen wir nicht: es wird auch zukünftig in den allermeisten Fällen Aussage gegen Aussage stehen. Eine äußerst diffizile Beweissituation. Es geht ja auch um viel, nämlich um Haftstrafen, die womöglich nicht mehr zur Bewährung ausgesprochen werden (können). Soll der Tatrichter dann wirklich – ohne kritische – Überprüfung der Version des vermeintlichen Tatopfers folgen, wonach der Sexualakt gegen den erkennbaren Willen erfolgte. Geradezu grotesk wird das Szenario, wenn man sich vorstellt, dass das „Opfer“ gegen den erkennbaren Willen sexuelle Handlugen an dem Täter vornimmt, was ja ebenfalls eine Tatbestandsvariante bleibt. Wie soll das gehen?

Ein Gedankenspiel

Ein Gedankenspiel zum besseren Verständnis dafür, was für Situationen das Gesetz zu strafbaren Handlungen erklärt:

Eure Frau kommt nach durchzechter Nacht nach Hause.

Frau: „Ich bin vergewaltigt worden!“

Mann: „Wie schrecklich! Erzähl!“

Frau: „Ich habe jemanden kennengelernt und bin zu ihm nach Hause gegangen.“

Mann: „Aha…und dann?“

Frau: „Dann hat er sich genähert. Ich habe aber laut „Nein“ gesagt. Dann habe ich ihn oral befriedigt und danach hat er mit mir geschlafen. Ich wollte das wirklich nicht, das hat den aber gar nicht interessiert.“

Liebe Ehemänner, wie würdet Ihr entscheiden? Warum ist die Frau nicht einfach gegangen, werdet Ihr euch fragen, und hat sich stolz den sexuellen Avancen verweigert, wo sie doch angeblich keinen Sex mit dem anderen Mann haben wollte. Was war da los? Hat der Mann ihr gedroht oder sie festgehalten? (Heute schon strafbar). Hat er die Tür abgeschlossen und zum Ausdruck gebracht, sie käme hier ohne „Gegenleistung“ nicht raus? (Heute schon strafbar). War sie – womöglich aufgrund hohen Alkoholkonsums – phasenweise nicht bei Bewusstsein? (Heute schon strafbar). All dies wären sicher Erklärungen, die einem Ehepartner einleuchten würden. Aber, einfach nur „Nein“ gesagt, weiter nichts? Nicht plausibel, oder?

Selbstverständlich können Sie die Rollen auch tauschen, so dass aus der „vergewaltigten“ Frau, ein Mann wird. Ich fürchte nur, Frauen würden sich noch mehr darüber wundern, warum der Ehemann mit einer anderen Dame sexuell verkehrt hat, obwohl er dies nach eigenem Bekunden nicht wollte.

Zurück zum Fall Lohfink

Was hat das alles mit Gina-Lisa Lohfink zu tun: Nichts, und doch alles. Nichts, weil – nach alle dem, was bisher bekannt wurde, Gina-Lisa Lohfink auch nach neuer Gesetzeslage nicht zum Opfer einer Vergewaltigung würde. Alles, weil dies so ist, weil – aus beweisrechtlichen Gründen – ebenso wahrscheinlich ist, dass sich ihr mangelndes Einverständnis nicht auf den Sexualverkehr, sondern auf die Videodokumentation desselben bezog. Heute wie zukünftig wäre der Angeklagte also – aus beweisrechtlichen Gründen – vom Vorwurfe der sexuellen Nötigung freizusprechen. Etwas anderes ist es, dass in den nicht genehmigten Videoaufnahmen und deren anschließender Veröffentlichung – heute, wie zukünftig – eine Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs durch Bildaufnahmen zu finden ist.