Bereits seit Jahrzehnten gibt es laustarke Forderungen, vermeintlich bestehende Lücken im deutschen Sexualstrafrecht zu schließen. Denn nach der mittlerweile alten Rechtslage waren Im Grundsatz nur solche sexuellen Handlungen strafbar, die gegen den Willen einer Person vorgenommen wurden, wenn der entsprechenden Handlung Gewalt, eine Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben oder das Ausnutzen einer schutzlosen Lage vorausging, mithin die Vergewaltigung. Kritiker bemängelten, dass weder sogenannte Überraschungsangriffe, bei denen der Angreifer unvermittelt und für das Opfer überraschend eine sexuelle Handlung an diesem vornimmt, noch subjektive Vorbehalte des Opfers gegen sexuelle Handlungen des Täters erfasst seien. Eine Expertengruppe nahm sich dem Reformvorhaben an. In die Öffentlichkeit gelangte das Thema vor allem aufgrund der Geschehnisse in der Silvesternacht rund um den Kölner Hauptbahnhof sowie dem Vergewaltigungsprozess um die ehemalige Topmodels-Kandidatin Gina-Lisa Lohfink. Nach langen Diskussionen und der Einreichung mehrerer Entwürfe beschloss der Bundestag am 07. Juli 2016 das Gesetz. Seit dem 10. November 2016 ist der neue § 177 StGB geltendes Recht.

Das Ziel des Gesetzgebers

Die Änderung des § 177 StGB soll den sogenannten „Nein-heißt-Nein“-Grundsatz, der vor allem in der medialen Berichterstattung um die Prozesse um Gina-Lisa Lohfink deutschlandweit Bekanntheit erlangte, im deutschen Sexualstrafrecht verankern. Danach soll bei der zukünftigen Bewertung von sexuellen Handlungen entscheidend sein, dass der Wille des Opfers erkennbar ist und der Täter sich darüber hinwegsetzt. Dementsprechend wird keine tatbestandliche Nötigung mehr vorausgesetzt. Im Mittelpunkt steht der Schutz der freien Entscheidung – ob, wann und wie es zu einer sexuellen Begegnung kommt. Es geht nicht um möglichen Widerstand, sondern um Zustimmung. Offensichtlichste Änderung ist dabei die Einführung eines einheitlichen Paragraphen für den sexuellen Übergriff, die sexuelle Nötigung sowie die Vergewaltigung, in dem auch der – vormals im mittlerweile abgeschafften § 179 StGB geregelte – Missbrauch enthalten ist. Grundtatbestände sind dabei § 177 Abs. 1 und Abs. 2 StGB

Die neue Norm im Detail

Nach § 177 Abs. 1 StGB macht sich strafbar, wer gegen den erkennbaren Willen einer anderen Person sexuelle Handlungen an dieser Person vornimmt oder von ihr vornehmen lässt oder diese Person zur Vornahme oder Duldung sexueller Handlungen an oder von einem dritten bestimmt. Der Strafrahmen reicht von sechs Monaten bis zu fünf Jahren. Damit sollen sexuelle Handlungen erfasst werden, mit denen sich der Täter über den entgegenstehenden Willen des Opfers hinwegsetzt und so das Rechtsgut der sexuellen Selbstbestimmung verletzt. Im Gegensatz zur früheren Rechtslage ist nun die Überwindung des entgegenstehenden Willens, also ein zur Wehr setzen des Opfers, gerade nicht mehr erforderlich. Die Erkennbarkeit des entgegenstehenden Willens ist aus der Sicht eines objektiven Dritten zu bestimmen. Danach wird von einer Erkennbarkeit ausgegangen, wenn das Opfer den entgegenstehenden Willen zum Tatzeitpunkt entweder ausdrücklich – etwa verbal – oder konkludent – etwa durch Weinen oder Abwehren der sexuellen Handlung – zum Ausdruck bringt. Gerade nicht erkennbar ist der Wille aber bei widersprüchlichem Verhalten oder sich widersprechenden Aussagen des Opfers. Insoweit wird unterstellt, dass von jeder Person erwartet werden kann, ihren Willen eindeutig und klar auszudrücken. Auf subjektiver Ebene wird Vorsatz des Täters gefordert, der sich darauf beziehen muss, dass das Opfer mit der sexuellen Handlung nicht einverstanden ist.

In engem Zusammenhang mit dem ersten Absatz steht § 177 Abs. 2 StGB, der eine Strafbarkeit des Täters auch ohne erkennbaren entgegenstehenden Willen des Opfers unter den dort genannten Voraussetzungen zulässt. Erfasst sind hier Konstellationen, in denen dem Opfer das Erklären eines entgegenstehenden Willens entweder nicht zumutbar oder objektiv nicht möglich ist. In diesem Absatz ist der ehemalige § 179 StGB enthalten. Nach § 177 Abs. 2 Nr. 1 StGB macht sich der Täter strafbar, wenn er es ausnutzt, dass die Person nicht in der Lage ist, einen entgegenstehenden Willen zu äußern oder zu bilden. Voraussetzung ist, dass das Opfer zur Bildung oder Äußerung eines Willens absolut unfähig ist. In Betracht kommt dies etwa bei einer seelischen oder körperlichen Behinderung – dies ist jedoch im Gegensatz zu zuvor keine zwingende Voraussetzung mehr. Nach § 177 Abs. 2 Nr. 2 StGB macht sich der Täter strafbar, wenn er es ausnutzt, dass die Person auf Grund ihres körperlichen oder psychischen Zustands in der Bildung oder Äußerung des Willens erheblich eingeschränkt ist, es sei denn, er hat sich der Zustimmung dieser Person versichert. Dieser Abschnitt dient dem sexuellen Selbstbestimmungsrecht von Opfern, die zwar einen natürlichen Willen bilden und äußern können, in dieser Fähigkeit jedoch aufgrund von körperlichen oder psychischen Schwächen erheblich eingeschränkt sind. Dabei kann der natürliche Wille explizit verbal oder konkludent erklärt werden, aus einer objektiven Sicht muss er aber eindeutig sein. Eine entsprechende Zustimmung muss bereits vor der jeweiligen sexuellen Handlung eingeholt werden. In Zusammenschau mit dem Vorhergesagten gilt hier also der „Nur-Ja-heißt-Ja“-Grundsatz. Sich widersprechende Aussagen oder widersprüchliches Verhalten bedeutet in dieser Tatbestandsalternative also gerade keine Zustimmung. In der Praxis wird wohl besonders die Trunkenheit ein häufiger Anwendungsfall sein.

Nach § 177 Abs. 2 Nr. 3 StGB macht sich der Täter strafbar, wenn er für die Tatbegehung ein Überraschungsmoment ausnutzt. Der sexuelle Übergriff muss also so überraschend sein, dass das Opfer darauf nicht reagieren kann. Dies ist auch im nicht-öffentlichen Raum und zwischen Personen, die sich kennen, möglich.

Nach 177 Abs. 2 Nr. 4 StGB macht sich der Täter strafbar, wenn er eine Lage ausnutzt, in der dem Opfer bei Widerstand ein empfindliches Übel droht. Empfindlich ist das Übel, wenn sein Eintreten geeignet ist, einen besonnenen Menschen zum Sexualkontakt zu bestimmen. Im Sinne der Rechtsprechung des BGH ist das Übel jedoch nicht empfindlich, wenn vom dem „Bedrohten in seiner Lage erwartet werden kann, dass er der Drohung in besonnener Selbstbehauptung standhält“. So sollen vor allem Bagatellen ausgeschlossen werden.

Nach 177 Abs. 2 Nr. 5 StGB macht sich ein Täter zudem strafbar, wenn er das Opfer zur Vornahme oder Duldung der sexuellen Handlung durch Drohung mit einem empfindlichen Übel genötigt hat. Die beiden letzten Ziffern orientieren sich dabei am Tatbestand der Nötigung nach § 240 StGB. Bei Ziffer 5, der zuvor als Regelbeispiel in § 240 Abs. 4 S. 2 Nr.1 StGB verankert war, muss der Täter einen entgegenstehen Willen des Opfers durch Zwang brechen, indem er dem Opfer ein empfindliches Übel in Aussicht stellt.

§ 177 Abs. 3 StGB ordnet die Strafbarkeit des Versuchs für die Tatbestände der ersten beiden Absätze an. § 177 Abs. 4 StGB erhöht den Mindeststrafrahmen des § 177 Abs. 2 Nr. 1 StGB für den Fall, dass die Unfähigkeit, einen Willen zu bilden oder zu äußern, auf einer Krankheit oder Behinderung des Opfers beruht. Im Umkehrschluss bedeutet das, dass eine Krankheit oder Behinderung des Opfers für die Annahme des § 177 Abs. 2 Nr. 2 StGB gerade nicht mehr Tatbestandsvoraussetzung ist. Der Strafrahmen erstreckt sich in diesem Fall von einem Jahr bis zu 15 Jahren.

Den gleichen Strafrahmen sieht das Gesetz nach § 177 Abs. 5 StGB für das Delikt der sexuellen Nötigung vor, wenn der Täter gegenüber dem Opfer entweder Gewalt anwendet, dem Opfer mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben droht oder eine Lage ausnutzt, in der das Opfer der Einwirkung des Täters schutzlos ausgeliefert ist. Diese Qualifikation gilt für alle Grundtatbestände der ersten beiden Absätze. Gewalt im Sinne von § 177 Abs. 5 Nr. 1 StGB ist jede Einwirkung auf den Körper eines anderen, wobei es nicht auf das Maß der vom Täter eingesetzten Kraft ankommt. Nach der Gesetzesbegründung soll es nicht mehr darauf ankommen, dass der Täter damit den Sexualkontakt erzwingen will. Auch bei der Drohungsalternative in § 177 Abs. 5 Nr. 2 StGB soll es nicht auf einen Zusammenhang zwischen Drohung und sexueller Handlung in der Form ankommen, dass durch die Drohung die sexuelle Handlung ermöglicht wurde. Grund dafür ist, dass auch Fälle erfasst werden sollen, in denen das Opfer noch unter dem Eindruck einer vorangegangenen Drohung des Täters steht. Eine schutzlose Lage im Sinne von § 177 Abs. 5 Nr. 3 StGB nutzt der Täter aus, wenn er die von ihm erkannte Furcht des Opfers vor einer gegenwärtigen Gefahr für Leib und Leben ausnutzt.

§ 177 Abs. 6 StGB enthält zwei benannte besonders schwere Fälle und ordnet bezogen auf die Grundtatbestände der ersten beiden Absätze jeweils einen Strafrahmen von zwei bis 15 Jahren an. Nach § 177 Abs. 6 Nr. 1 StGB liegt ein besonders schwerer Fall in der Regel vor, wenn der Täter mit dem Opfer den Beischlaf vollzieht oder vollziehen lässt oder ähnliche sexuelle Handlungen an dem Opfer vornimmt oder von ihm vornehmen lässt, die dieses besonders erniedrigen, insbesondere, wenn sie mit einem Eindringen in den Körper verbunden sind (Vergewaltigung). Ziel der Neuregelung war es, dass die Vergewaltigung nicht mehr davon abhängig ist, dass der Täter das Opfer durch Gewalt, durch Drohung mit Gewalt oder durch das Ausnutzen einer schutzlosen Lage nötigt. Der Täter begeht nunmehr auch dann eine Vergewaltigung, wenn er ohne eine Nötigung die Voraussetzungen des ersten oder zweiten Absatzes erfüllt – die Ausübung von Gewalt ist nicht mehr erforderlich. Während der Rechtsbegriff der Vergewaltigung bislang Zwang voraussetzte, macht die Reform daraus jede erhebliche Beeinträchtigung der sexuellen Selbstbestimmung durch Penetration. Ein Beispiel: Das Opfer lehnt die sexuelle Handlung ausdrücklich ab, der Täter übt dennoch den Beischlaf an dem Opfer aus. Darüber hinaus liegt ein besonders schwerer Fall nach § 177 Abs. 6 Nr. 2 StGB auch vor, wenn die Tat von mehreren gemeinschaftlich begangen wird. Insofern ist das Zusammenwirken von zwei Tätern ausreichend.

Symbolbild für Sexualstrafrecht: Mann und Frau in schwarz-weiß

Nach § 177 Abs. 7 StGB erhöht sich der Mindeststrafrahmen auf drei Jahre Freiheitsstrafe, wenn der Täter eine Waffe oder ein anderes gefährliches Werkzeug bei sich führt (Nr. 1), sonst ein Werkzeug oder Mittel bei sich führt, um den Widerstand einer anderen Person durch Gewalt oder Drohung mit Gewalt zu verhindern oder zu überwinden (Nr. 2), oder das Opfer in die Gefahr einer schweren Gesundheitsschädigung bringt (Nr. 3). Hierbei muss vor allem beachtet werden, dass diese Qualifikation für alle vorgelagerten Tatbestände des neuen § 177 StGB anwendbar ist. Eine weitere Qualifikation und Anhebung des Mindeststrafrahmens sieht § 177 Abs. 8 StGB für die Fälle vor, in denen der Täter bei der Tat eine Waffe oder ein anderes gefährliches Werkzeug verwendet (Nr. 1) oder wenn er das Opfer bei der Tat körperlich schwer misshandelt (Nr. 2 a) beziehungsweise durch die Tat in die Gefahr des Todes bringt (Nr. 2 b). Auch diese Qualifikation gilt für alle vorherigen Tatbestände des § 177 StGB. Das Gesetz sieht hier Freiheitsstrafe von fünf bis zu 15 Jahren vor.

§ 177 Abs. 9 StGB senkt den Strafrahmen bei einem minderschweren Fall in den Fällen der ersten Absätze von drei Monaten bis zu drei Jahren, in den Fällen der Absätze vier und fünf von sechs Monaten bis zu zehn Jahren und in den Fällen der Abätze 7 und 8 von einem bis zu zehn Jahren. Ein minder schwerer Fall liegt vor, wenn das gesamte Tatbild, einschließlich aller subjektiven Momente und der Täterpersönlichkeit, vom Durchschnitt der gewöhnlich vorkommenden Fälle so sehr abweicht, dass die Anwendung des Ausnahmestrafrahmens geboten erscheint. Für die Prüfung dieser Frage ist eine Gesamtbetrachtung erforderlich, bei der alle Umstände heranzuziehen und zu würdigen sind, die für die Wertung der Tat und des Täters in Betracht kommen, gleichgültig, ob sie der Tat selbst innewohnen, sie begleiten, ihr vorausgehen oder nachfolgen. Bei der Annahme eines minder schweren Falls ist grundsätzlich Vorsicht geboten, die entsprechenden Umstände müssen sich förmlich aufdrängen. Eine schematische Betrachtung ist nicht möglich, entscheidend sind immer die Faktoren des Einzelfalls.

Der neue § 184 i StGB: Sexuelle Belästigung

Für eine umfassende Betrachtung des reformierten Sexualstrafrechts muss zudem unbedingt die neue Norm des § 184i StGB miteinbezogen werden, der die sexuelle Belästigung unter Strafe stellt und einen Strafrahmen von Geldstrafe bis zu zwei Jahren Freiheitsstrafe vorsieht. Strafbar ist, „wer eine andere Person in sexuell bestimmter Weise körperlich berührt und dadurch belästigt“. Vorausgesetzt wird eine Körperberührung, die nach ihrem äußeren Erscheinungsbild einen sexuellen Zusammenhang aufweist. In Betracht kommen etwa aufgedrängte Küsse auf die Wange, Berührungen der primären oder sekundären Geschlechtsmerkmale, Umarmungen oder auch ein Klaps auf den Po. Das Opfer muss sich durch die Berührung belästigt werden, diese erfolgt also unerwünscht. Rein verbale Einwirkungen auf das Opfer sind nicht erfasst. Ein besonders schwerer Fall liegt nach § 184i Abs. 2 StGB in der Regel vor, wenn die Tat von mehreren gemeinschaftlich begangen wird. Dieser neue Straftatbestand ist ferner als Antragsdelikt ausgestaltet (§ 184i Abs. 3 StGB).

Kritik an den neuen Regelungen

Die Reaktionen auf den neuen § 177 StGB fielen überaus kontrovers aus. So hagelte es von vielen Seiten Kritik. So wurde etwa ausgeführt, das reformierte Sexualstrafrecht sei eine mit heißer Nadel gestrickte Antwort auf die populistischen Forderungen nach stärkerer Reglementierung des geschlechtlichen Zusammenlebens. Die Fokussierung auf beweisrechtlich nicht fassbare Gefühlslagen von möglichen Opfern und die Ausdehnung nahezu aller Sexualdelikte auf Situationen, die gerade nicht durch Eindeutigkeit geprägt seien, hätten mit der Forderung nach einem „Nein heißt Nein“-Prinzip, das auf offenkundiger Ablehnung beruht, wenig zu tun. Vielen Strafrechtlern gehen die Änderungen zu weit. Zwar sei die Reform ein Schritt in die richtige Richtung, die Tatbestandsalternativen würden aber zum Teil zu erhebliche Probleme führen, da keine Wertungswidersprüche beseitigt sondern neue aufgerissen wurden. Frauenrechtlerinnen hingegen sprechen von einem historischen Moment und sehen in der Reform eine längst überfällige Reaktion auf das seit jeher kritisierte „selbstverständliche Verfügungsrecht des Mannes über den Körper der Frau“. Politiker müssen sich dem Vorwurf stellen, aufgrund des Druckes der Öffentlichkeit und der Medienwirksamkeit zu schnell gehandelt zu haben. Überspitzt könnte man formulieren, dass jede Frau in einem überfüllten Bus oder einer überfüllten U-Bahn alle paar Minuten „Nein“ rufen müsste. Dem Vorsitzenden des Richterbundes, Jens Gnisa, zufolge werden Prozesse im Hinblick auf das neue Sexualstrafrecht in der Regel schwierig zu führen sein, „weil Aussage gegen Aussage steht und es keine weiteren Indizien gibt“.

Notwendigkeit eines Strafverteidigers

Als Beschuldigter einer Straftat im Sinne des § 177 StGB oder § 184i StGB ist das Einschalten eines Strafverteidigers für einen erfolgreichen Ausgang des Verfahrens nahezu unerlässlich. Gerade im Hinblick auf die zahlreichen Änderungen, und den damit verbundenen Unwägbarkeiten in der Praxis, führt kein Weg an einer professionellen rechtlichen Beratung vorbei. Die Einschaltung des rechtlichen Beistandes sollte dabei so früh wie möglich erfolgen, nicht erst, wenn es tatsächlich zu einem gerichtlichen Verfahren kommt. Sollte der Mindeststrafrahmen für das zur Last gelegte Verbrechen nicht unter einem Jahr Freiheitsstrafe liegen, ist das Mitwirken eines Verteidigers ohnehin vorgeschrieben (§ 140 StPO). Doch gerade im Ermittlungsverfahren lassen sich bereits wichtige Weichen stellen, um eine spätere Verurteilung zu vermeiden. So kommt eine Einstellung mangels hinreichendem Tatverdacht nach § 170 Abs. 2 StPO in Betracht, darüber hinaus bestehen auch Einstellungsmöglichkeiten wegen Geringfügigkeit (§ 153 StPO) oder das Absehen von der Verfolgung unter Weisungen und Auflagen (§ 153a StPO) sowie das Abtrennen unwesentlicher Nebenstraftaten oder die Beschränkung der Strafverfolgung (§ 154 ff. StPO). Auch im Jugendstrafrecht bestehen spezielle Einstellungsgründe (§ 45 JGG). Mit einem Strafverteidiger haben sie einen kompetenten und verlässlichen Partner an ihrer Seite, der in jeder Lage des Verfahrens helfen und beraten kann.

Auch in einem Prozess, wenn nicht ohnehin ein Verteidiger Pflicht ist, ist das Verzichten auf rechtlichen Beistand grob fahrlässig, um entsprechenden Vorwürfen erfolgsversprechend entgegen treten zu können. Das neue Sexualstrafrecht enthält eine Vielzahl von Auslegungs- und Beweisproblemen. Ohne qualifizierte Hilfe besteht kaum eine Möglichkeit, ein solch gerichtliches Verfahren mitzuprägen und zufriedenstellend abzuschließen. Denn auch vor Gericht bestehen neben der Möglichkeit eines Freispruches verschiedene Einstellungsgründe. Selbst im Falle eines Schuldspruches kann ein Strafanwalt entscheidenden Einfluss nehmen. Durch eine konsequente Verteidigung kann ein verhältnismäßig niedriges Strafmaß erreicht werden. Daneben kommt eine Strafaussetzung zur Bewährung in Betracht. Ein Verteidiger kann dafür günstige Faktoren, etwa die berufliche Beschäftigung, eine intakte Familie, das Vorleben oder das Nachtatverhalten entsprechend zur Geltung bringen.

Vor Augen führen sollte man sich die Wichtigkeit eines Strafverteidigers auch in Zusammenhang mit dem eigenen Führungszeugnis. Dort werden alle Verurteilungen eingetragen, die mehr als 90 Tagessätze Geldstrafe oder mehr als drei Monate Freiheitsstrafe bedeuten. Ab diesem Zeitpunkt gilt man als vorbestraft. Eine Löschung aus dem Führungszeugnis erfolgt bei Geldtrafen und Freiheitsstrafen bis zu einem Jahr nach drei Jahren. Besonders zu beachten ist hier jedoch § 34 Abs. 2 BZRG, wonach eine Löschung aus dem Führungszeugnis bei Verurteilungen wegen einer Straftat nach den §§ 174 bis 180 des StGB von mehr als einem Jahr Freiheitsstrafe erst nach zehn Jahren erfolgt. In allen übrigen Fällen erfolgt die Löschung nach fünf Jahren.