EncroChat war ein niederländisches Kommunikationssystem, welches den Kunden nebst Chat-Funktion auch Smartphones mit nicht registrierten SIM-Karten zur Verfügung stellte, bei welchem Kamera, Mikrofon und Ortungsfunktionen entfernt bzw. deaktiviert wurden.
Als Verbraucher musste man sich auf einer Homepage melden und konnte komplett anonym mit Verkäufern dieser Smartphones, sogenannte verschlüsselte EncroPhones, in Kontakt treten, um einen Übergabetermin abzustimmen.
Nachrichten, Bilder und andere Notizen konnten über den Ende-zu-Ende-verschlüsselten Chat ausgetauscht werden, das niederländische Unternehmen warb mit einer garantierten Anonymität.
Der Hack von EncroChat
Die Polizeibehörde der Europäischen Union, Europol, leitete zunächst Ermittlungen gegen EncroChat ein.
Das französische Sicherheitsbehörden ab April im Jahr 2020 einen Trojaner auf die Endgeräte der Verbraucher spielten, mag auch mit den strafprozessualen Anforderungen in Frankreich zusammenhängen, die im Vergleich zu Deutschland geringer sind. Inwieweit die französischen Sicherheitsbehörden bewusst mit dem Hacken des weltweit genutzten Verschlüsselungssystem beauftragt wurden, wird für die Frage der strafrechtlichen Verwertbarkeit sicher ebenso eine Rolle spielen wie die Tatsache, dass pauschal alle Nutzer der organisierten Kriminalität zugeordnet wurden, obgleich auch Personen des öffentlichen Lebens die Anonymität zu schätzen wussten.
Die Behörden hatten in Frankreich Server beschlagnahmt und letztlich Passwörter entschlüsseln können. Hiermit waren die Strafverfolgungsbehörden in der Lage, ohne Wissen der Verbraucher Updates auf die Smartphones zu laden, mit welchem fortan ausgetauschte Nachrichten mitgelesen werden konnten.
Ausgangspunkt war, dass die Behörden davon ausgingen, dass EncroChat insbesondere von Kriminellen für die organisierte Kriminalität, Waffen- sowie Betäubungsmittelgeschäfte, genutzt wurde. Die Ermittlungen begangen etwa Ende 2018. Es ist davon auszugehen, dass rund 35.000 Smartphones vom Trojaner bewusst infiziert wurden.
Die Strafrechtliche Verwertbarkeit
Die deutsche Strafprozessordnung (StPO) formuliert hohe Anforderungen an Überwachungen technischer Kommunikationsmittel. Beispielsweise bedarf es für die Telekommunikationsüberwachung gemäß § 100 a StPO den Verdacht, dass eine schwere Straftat gemäß der Aufzählung in § 100 a Abs. II StPO vorliegt.
Ferner muss die Überwachung im Lichte der Grundrechte angemessen sein und es darf kein milderes Mittel zur Verfügung stehen. Es soll deutlich gemacht werden, dass ein solcher Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht der Betroffenen aus Art. 2 Abs. I i.V.m. Art. Abs. I GG ultima ratio sein muss. Das sogenannte allgemeine Persönlichkeitsrecht deckt hier auch die Vertraulichkeit informationstechnischer Systeme ab.
Für die Frage der Verwertbarkeit in einem Strafverfahren muss berücksichtigt werden, dass auch in der Bundesrepublik Deutschland Smartphones von EncroChat durch französische Behörden durch einen Trojaner infiziert und mitgelesen wurde. Es stellt sich unweigerlich die Frage, ob die deutschen Strafverfolgungsbehörden vor dem Hintergrund der Anforderungen gemäß §§ 100 a, 100 b StPO zu solchen Mitteln hätten greifen dürfen.
Mehr zum Ablauf eines Strafverfahrens erfahren Sie in diesem Beitrag.
Ob die französischen Behörden tatsächlich den Verdacht einer schweren Straftat hatten oder ob hier eher eine vage Vermutung ausschlaggebend war, dass ein solches System wie EncroChat von Kriminellen genutzt wurde, wird für die Frage der Verwertbarkeit zu berücksichtigen sein.
Die Telekommunikationsüberwachung sowie die Online-Durchsuchung erfordern gemäß StPO einen sogenannten Richtervorbehalt. Ein Ermittlungsrichter muss die Maßnahmen also stets prüfen und sein Einverständnis erteilen. Nach aktuellem Kenntnisstand haben französische Gerichte die Maßnahmen abgesegnet; dennoch bleibt die Frage, ob deutsche Behörden durch das Nutzen dieser Daten den deutschen Richtervorbehalt indirekt umgangen haben.
Ein Beweisverwertungsverbot wurde bisher von den Gerichten nicht angenommen, da die Vorgehensweise der französischen Behörden nach französischem Recht ordnungsgemäß war. Der Bundesgerichtshof (BGH) hat in mehreren Entscheidungen die Verwertbarkeit der EncroChat-Daten in deutschen Strafverfahren bejaht.
Dennoch dürfte es bis zu einer Entscheidung vor dem Verfassungsgericht spannend bleiben, ob hier durch deutsche Behörden eine Umgehung des Richtervorbehalts bewusst in Kauf genommen wurde, indem man nun auf die Ermittlungsergebnisse französischer Behörden zugreift. Eine abschließende Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Zulässigkeit dieser Verwertung steht noch aus.
Die Strafverfolgung in Deutschland
Als Nutzer der sogenannten Kryptophones von EncroChat kann es durchaus dazu kommen, dass in den nächsten Wochen oder Monaten eine Hausdurchsuchung oder eine Festnahme vollzogen wird. Auch Jahre nach dem Hack sind EncroChat-Verfahren noch in der aktiven Aufarbeitung; Festnahmen und Durchsuchungen erfolgen weiterhin regelmäßig. Die den deutschen Behörden nunmehr vorliegenden Datenmengen sind unzählig und es wird einige Zeit dauern, bis diese ausgewertet und sodann Beschuldigten zugeordnet werden können.
Es ist sinnstiftend, sich bereits jetzt um rechtlichen Beistand zu kümmern, da gerade bei einer Hausdurchsuchung schnell ein Strafverteidiger herangezogen werden sollte, um Waffengleichheit zwischen den Strafverfolgungsbehörden und dem Beschuldigten herzustellen. Auch eine möglichst frühe Akteneinsicht ist zielführend.
Wie bereits obig dargelegt, ist nicht abschließend geklärt, ob die erlangten Daten einem Beweisverwertungsverbot unterliegen, hier sind höchstrichterliche Entscheidungen abzuwarten. Etwaige Urteile sind daher im höchsten Maße revisionsanfällig, weswegen die optimale Verteidigung durch einen Fachanwalt für das Strafrecht sowie Spezialisten für das Revisionsrecht erfolgen sollte.
Die Aufrüstung der Strafverfolgungsbehörden
Die Behörden, insbesondere die Staatsanwaltschaften, gehen selbst davon aus, dass die schiere Menge an Daten dazu führen wird, dass noch rund sechs Jahre allein in Hamburg und Umgebung erhöhter Personalbedarf zur Aufarbeitung besteht. In vielen Bundesländern wurden bereits zusätzliche Stellen bei Polizei und Justiz geschaffen, um EncroChat-Verfahren zu bearbeiten – teils spezialisierte Abteilungen.
Beispielsweise wurden in Hamburg sowie Schleswig- Holstein bereits 220 Wohnungen durchsucht und 117 Haftbefehle vollstreckt. Ferner konnten allein in Hamburg bereits 471 Nutzer von EncroChat identifiziert werden können, weltweit soll das von Ermitlern als ,,WhatsApp für Gangster“ bezeichnete System von bis zu rund 60.000 Menschen genutzt worden sein.
Inzwischen sind zahlreiche Anklagen erhoben und Prozesse geführt worden – einige Urteile sind bereits rechtskräftig, andere befinden sich in der Revision.
Wenn schon die Ermittlungsbehörden aufrüsten, sollte ein Beschuldigter die Ermittlungen nicht auf die leichte Schulter nehmen, sondern umgehend einen Fachanwalt für das Strafrecht kontaktieren. Dies gilt freilich auch für Nutzer des verschlüsselten Kommunikationsdienstes Sky ECC, der vergleichbar wie EncroChat funktioniert.
EncroChat hatte im Juni 2020 die Nutzer aufgefordert, das System zu löschen und EncroPhones zu vernichten.
Strafverteidiger Dr. Baumhöfener steht allen Beschuldigten aus Hamburg und bundesweit in allen Fragen bei Hausdurchsuchungen, Haftbefehlen, Untersuchungshaft sowie dem weiteren Vorgehen im strafrechtlichen Verfahren beratend zur Seite.
Fazit
- EncroChat war ein verschlüsselter Kommunikationsdienst, der primär zur anonymen Kommunikation genutzt wurde – häufig auch im kriminellen Milieu.
- Französische Behörden hackten ab dem Jahr 2020 das System, installierten einen Trojaner und leiteten Daten an Europol weiter.
- Auch deutsche Nutzer wurden betroffen, ohne dass deutsche Behörden direkt überwacht haben.
- Die Verwertbarkeit der Encrochat Daten ist rechtlich umstritten, wurde aber vom BGH in mehreren Urteilen zugelassen.
- Die Ermittlungen dauern bis heute an, teils mit erheblichem Personalaufwand.
- Nutzer sollten sofort rechtlichen Beistand suchen, da Hausdurchsuchungen und Festnahmen weiterhin möglich sind.
- Frühzeitige Akteneinsicht und Strafverteidigung sind entscheidend, um die eigene Position zu sichern.
- Auch Sky ECC-Nutzer können betroffen sein – gleiches Vorgehen, ähnliche Risiken.