Der Bundesgerichtshof hat in einem Beschluss vom 04.02.2010 zum wiederholten Male darauf hingewiesen, dass rechtfehlerhaft ist, wenn sich das Urteil des Tatgerichts nur mit einer Sachverhaltsvariante auseinandersetzt, obwohl sich ein alternativer Handlungsablauf genauso aufdrängt (BGH – 3 StR 564/09).
Folgendes hatte sich zugetragen:
„Zwischen dem Angeklagten und seiner Ehefrau N C, dem späteren Tatopfer, kam es zum wiederholten Male in der Ehewohnung zu einem Streit. Der Angekl. zog sich daraufhin in das Schlafzimmer zurück. Der gemeinsame Sohn A C beschloss, mit dem Angekl. über den Vorfall zu reden, und begab sich zu diesem. Zwischen beiden entwickelte sich eine tätliche Auseinandersetzung, bei der A C dem Angekl. durch Schläge mit einer Ketchupflasche eine Platzwunde an der Stirn beibrachte. Sodann floh A C in das Kellergeschoss des Hauses. Der Angeklagte holte eine mit acht Patronen geladene Pistole aus dem Schlafzimmerschrank, um seinem Sohn damit Angst einzujagen. Er bemerkte sodann, dass dieser die Wohnung bereits verlassen hatte, und begab sich in das Badezimmer, um seine heftig blutende Wunde zu versorgen. Der schon stark erregte Angeklagte empörte sich beim Anblick seiner Verletzung noch mehr und ärgerte sich nunmehr auch über seine Ehefrau, weil er fälschlicherweise davon ausging, sie habe den Sohn auf ihn gehetzt. Daraufhin steigerte sich das ohnehin bereits vorhandene Hassgefühl gegen seine Ehefrau und er beschloss, sie mit der Pistole zu erschießen. Er verließ das Bad und traf im Wohnungsflur auf seine Ehefrau. Diese wich in das Kinderzimmer zurück. Der Angeklagte folgte ihr und schoss 7 Mal auf sie. Während des Tatgeschehens schrieen der Angeklagte sowie N C laut, wobei der Angeklagte ausrief „Ich bring Dich um!”. N C wurde von 6 Kugeln getroffen und verstarb trotz einer Notoperation an den Schussverletzungen. Nach der Tat warf der Angeklagte die Pistole auf das Bett im Schlafzimmer und verließ die Wohnung“ (BGH – 3 StR 564/09).
Der dritte Senat des Bundesgerichtshofs meint, die Feststellung des Tatgerichts, der Angeklagte habe seinen Tötungsvorsatz bereits im Badezimmer gefasst, sei fehlerhaft, weil einseitig gewürdigt: Die Würdigung erhobener Beweise obliegt allein dem Tatrichter; sie kann vom Revisionsgericht auf die Sachrüge nur darauf überprüft werden, ob sie Rechtsfehler aufweist. Dies ist etwa dann der Fall, wenn die Beweiswürdigung lückenhaft ist und das Tatgericht sich insbesondere nicht mit nahe liegenden alternativen Geschehensabläufen befasst, obwohl sich dies nach dem Beweisergebnis aufdrängt.
Dies war nach Auffassung des Bundesgerichtshofs der Fall: „Das Landgericht hat ausgeschlossen, dass der Angeklagte den Vorsatz, seine Ehefrau zu töten, erst dann fasste, nachdem er das Badezimmer verlassen hatte. Zur Begründung hat es lediglich darauf abgestellt, die Einlassung des Angekl. sei widerlegt, seine Ehefrau habe ihn zu diesem Zeitpunkt mit den Worten „Ich scheiß dir in den Mund! Verrecke!” beleidigt, worauf er „schwarz gesehen” habe. Dies reicht hier nicht aus. Das Landgericht hätte auf Grund der Umstände des vorliegenden Falles auch die Möglichkeit in seine Würdigung einbeziehen müssen, dass der ohnehin stark verärgerte Angekl. sich erst zur Tötung seiner Ehefrau entschloss, als er nach Verlassen des Badezimmers im Wohnungsflur auf diese traf, ohne dass sie den Angekl. beleidigte. Nach den Feststellungen führte der Angekl. die Pistole ursprünglich mit sich, um seinem Sohn zu drohen. Objektive Anhaltspunkte dafür, wann er dieses Vorhaben aufgab und den Vorsatz fasste, seine Ehefrau zu erschießen, sind den Feststellungen nicht zu entnehmen. Das Tatgeschehen im engeren Sinne weist – auch nach der Wertung des Landgerichts – deutliche Merkmale einer Spontantat auf. Unter diesen Umständen liegt die Möglichkeit, dass der Angekl. auch ohne zusätzliche Provokation durch seine Ehefrau den Tötungsvorsatz erst nach Verlassen des Badezimmers fasste, jedenfalls nicht ferner als diejenige, dass er sich bereits zuvor zu ihrer Tötung entschlossen hatte“ (BGH – 3 StR 564/09).
Das für die erfolgreiche Revision notwendige Beruhen des Urteils auf diesem Fehler begründet der Bundesgerichtshof wie folgt: „Nach der Würdigung des Landgerichts handelte der Angekl. gerade deshalb heimtückisch und erfüllte damit ein Tatbestandsmerkmal des § 211 StGB, weil er den Tötungsvorsatz fasste, während er im Badezimmer verweilte. N C sei arglos und auf Grund der räumlichen Verhältnisse in der Wohnung auch wehrlos gewesen. Der Angeklagte habe diese Umstände bewusst zur Tatbegehung ausgenutzt. Als er sich vor der Tat im Badezimmer überlegt habe, seine Ehefrau zu erschießen, sei ihm klar gewesen, dass diese nicht mit einem Angriff gerechnet und, sobald der Angekl. das Badezimmer verlassen habe, keine Fluchtmöglichkeit mehr haben werde. Ein sonstiges Mordmerkmal ist nicht festgestellt“ (BGH – 3 StR 564/09).