Sofern eine Vernehmungsniederschrift, welche im Urteil zur Beurteilung der Konstanz einer Belastungsaussage herangezogen wird, sehr umfangreich ist, kann es schon ob des Umfangs ausgeschlossen sein, dass sich der Tatrichter durch Vorhalte seine Überzeugung gebildet haben kann.

Das Landgericht Frankenthal hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung in zwei rechtlich selbstständigen Fällen, einmal in Tateinheit mit Nötigung, Nötigung, vorsätzlicher Körperverletzung und Vergewaltigung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt. Die Revision des Angeklagten hatte mit einer Verfahrensrüge Erfolg.

Folgendes hatte sich prozessual zugetragen:

„Nachdem die Nebenklägerin am 1. Dezember 2010 mehrfach von dem Angeklagten telefonisch bedrängt worden war, erstattete sie in Begleitung einer Freundin Anzeige bei der Polizeiinspektion S. . Bei dieser Gelegenheit schilderte sie erstmalig die dem Schuldspruch zugrunde liegenden Vorgänge. Ihre Angaben wichen dabei nur in wenigen – vom Landgericht für unbedeutend erachteten – Randdetails von ihrer Einlassung in der Hauptverhandlung ab (…). Bei einer kriminalpolizeilichen Einvernahme am 3. Dezember 2010 äußerte sich die Nebenklägerin erneut zu den Tatvorwürfen, wobei ihre Angaben den Schilderungen bei der Anzeigeerstattung „sehr ähnelten“. Außerdem fügte sie noch verschiedene Details hinzu, die in den Urteilsgründen im Einzelnen dargestellt werden (…). Am 15. Februar 2011 wurde die Nebenklägerin von der Ermittlungsrichterin bei dem Amtsgericht Frankenthal vernommen. Ihre dortigen Angaben „entsprachen wiederum weitgehend der im Rahmen ihrer ursprünglichen polizeilichen Vernehmung gemachten Aussage“. Ergänzend werden in den Urteilsgründen einzelne Passagen in wörtlicher Rede wiedergegeben (…). Weiter wird angeführt, dass die Schilderung der Nebenklägerin zu Fall III. 4. „relativ knapp“ ausgefallen und die einleitende Sequenz zu Fall III. 5. nur „oberflächlich beschrieben“ worden sei (…)“(BGH, Beschluss v. 25.04.2012, 4 StR 30/12).

„Bei der sehr ausführlichen Beurteilung der Glaubhaftigkeit der Angaben der Nebenklägerin kommt das Landgericht zu dem Ergebnis, dass die Entwicklung der Aussage im zeitlichen Verlauf für ihren Realitätsbezug spreche. Eine Gesamtschau der Bekundungen der Nebenklägerin lasse ein Ausmaß an Konstanz erkennen, wie es bei zuverlässigen, erlebnisgespeisten Berichten zu erwarten sei (…). Die nochmals im Einzelnen dargestellten Abweichungen zwischen den jeweiligen Aussagen seien dem Zeitablauf geschuldet oder beträfen Randereignisse. Nennenswerte Auffälligkeiten hätten sich nur hinsichtlich zweier zum Kerngeschehen gehörender Details ergeben. Dabei seien Widersprüche in den Schilderungen zu Fall III. 3. bei Polizei und Ermittlungsrichterin von der Nebenklägerin schon vor dem Amtsgericht teilweise aufgeklärt (…) und schließlich in der Hauptverhandlung auf Vorhalt früherer Aussageprotokolle umfassend erläutert worden (…). Soweit die Nebenklägerin bei ihrer ermittlungsrichterlichen Vernehmung zu einem zentralen Punkt (vaginaler Geschlechtsverkehr im Fall III. 5.) abweichend ausgesagt habe, liege darin kein ausreichender Hinweis auf einen allgemeinen Mangel an Glaubhaftigkeit, zumal die fragliche Unstimmigkeit erst gegen Ende der ausgedehnten und sicherlich erschöpfenden Vernehmung vor der Ermittlungsrichterin aufgetreten sei (…)“ (BGH, Beschluss v. 25.04.2012, 4 StR 30/12).

Die Aussage der Nebenklägerin vor der Ermittlungsrichterin bei dem Amtsgericht Frankenthal vom 15. Februar 2011 war nicht in dem Umfang ihrer Verwertung Gegenstand der Hauptverhandlung; dies war aus den folgenden Gründen fehlerhaft:

„Wie sich aus dem schon durch das Hauptverhandlungsprotokoll bewiesenen Vortrag des Revisionsführers ergibt, wurde die Vernehmungsniederschrift nicht in der Hauptverhandlung verlesen und auch die vernehmende Ermittlungsrichterin nicht als Zeugin gehört. Der Senat schließt aus, dass das Landgericht seine Überzeugung vom Inhalt der ermittlungsrichterlichen Vernehmung durch Vorhalte gewonnen hat, die der Nebenklägerin in der Hauptverhandlung gemacht worden sind.

Das Urteil beruht auch auf diesem Rechtsfehler, weil die Möglichkeit besteht, dass es bei richtiger Anwendung des Gesetzes anders ausgefallen wäre.

Durch seine Feststellung, dass die Angaben der Nebenklägerin bei ihrer ermittlungsrichterlichen Einvernahme weitgehend der im Rahmen ihrer ursprünglichen polizeilichen Vernehmung gemachten Aussage entsprachen (…), die ihrerseits nur in Randdetails von den die Verurteilung tragenden Bekundungen der Nebenklägerin in der Hauptverhandlung abwich (…), hat das Landgericht zu erkennen gegeben, dass es den gesamten das Tatgeschehen betreffenden Vernehmungsinhalt zur Kenntnis genommen und gewürdigt hat. Dies ergibt sich auch aus den wörtlichen Zitaten und der zusammenfassenden Bewertung ganzer Aussageabschnitte als „relativ knapp“ oder „oberflächlich“. Das Protokoll der ermittlungsrichterlichen Vernehmung vom 15. Februar 2011 besteht aus sieben eng beschriebenen Seiten. Wie sich aus den übereinstimmenden dienstlichen Stellungnahmen des Vorsitzenden und der Berichterstatterin sowie der Gegenerklärung des Sitzungsvertreters der Staatsanwaltschaft ergibt, wurden der Nebenklägerin nur von der Verteidigung Vorhalte aus diesem Protokoll gemacht. Dabei ging es vornehmlich darum, Widersprüche und Unstimmigkeiten aufzuzeigen. Der Umfang der Vernehmungsniederschrift und die Zielrichtung der Vorhalte schließen aus, dass sich das Landgericht auf diesem Wege die Überzeugung verschafft haben kann, die seine umfassenden Feststellungen zu dem Inhalt der ermittlungsrichterlichen Vernehmung und dessen Übereinstimmung mit früheren Aussagen tragen (…).

Das Urteil beruht auch auf diesem Rechtsfehler (§ 337 Abs. 1 StPO), weil die nicht nur theoretische Möglichkeit besteht, dass es bei richtiger Anwendung des Gesetzes anders ausgefallen wäre (…). Das Landgericht hat in den Bekundungen der Nebenklägerin eine weitreichende Konstanz festgestellt und dabei auch die ermittlungsrichterliche Vernehmung in den Blick genommen. Diese Feststellung hat mit dazu beigetragen, dass sich das Landgericht schließlich von der Glaubhaftigkeit der Angaben der Nebenklägerin und damit der Schuld des Angeklagten überzeugen konnte“ (s.h. insges. BGH, Beschluss v. 25.04.2012, 4 StR 30/12).