Unter anderem im Zusammenhang mit den Übergriffen in der Silvesternacht in Köln wurden in der Öffentlichkeit Forderungen nach einer Reform des Sexualstrafrechts laut. Entsprechende Pläne für eine Gesetzesänderung waren jedoch auch schon zuvor diskutiert wurden. Nun hat das Bundeskabinett einen entsprechenden Gesetzesentwurf beschlossen.

Die letzte große Reform des Sexualstrafrechts fand Ende der neunziger Jahre statt. Seitdem sind auch die Vergewaltigung in der Ehe und die Vergewaltigung von Männern im Strafgesetzbuch (StGB) unter Strafe gestellt. Ebenso wurde damals neu eingeführt, dass auch das Ausnutzen einer Lage bestraft wird, wenn das Opfer dem Täter schutzlos ausgeliefert ist. Dadurch wollte man solche Fälle erfassen, in denen das Opfer sich nicht wehrt, weil es sich dem Täter für ausgeliefert hält oder ihm eine Verteidigung aussichtslos erscheint.

Dieses Ziel wurde jedoch nach Ansicht der Reformbefürworter nur unzureichend erreicht. Denn der Tatbestand des Ausnutzens wird vom Bundesgerichtshof sehr eng interpretiert. Hintergrund für eine solche Interpretation ist die relativ hohe Strafdrohung von mindestens einem Jahr und die dogmatische Nähe zum Tatbestand der Nötigung.

Welche Änderungen hat das Bundeskabinett beschlossen?

Diese durch die Praxis der Rechtsprechung geschaffenen Strafbarkeitslücken sollen durch den Regierungsentwurf nun geschlossen werden. In Zukunft soll eine Bestrafung auch von solchen Tätern erfolgen, die eine Widerstandsunfähigkeit des Opfers oder den Umstand ausnutzen, dass das Opfer ein empfindliches Übel nur befürchtet. Außerdem sollen Opfer vor der überraschenden Vornahme von sexuellen Handlungen geschützt werden. Dazu enthält der Gesetzesentwurf neue Straftatbestände, mit denen der sexuelle Missbrauch unter Ausnutzung besonderer Umstände erfasst wird.

Was wurde konkret geändert?

Konkret sieht der Gesetzesentwurf vor, dass die strafwürdigen Handlungen, welche nicht unter den bisherigen § 177 Abs. 1 Nr. 1, 2 StGB fallen (sexuelle Nötigung), in einen neu gefassten § 179 StGB integriert werden. Dieser erfasst bisher den sexuellen Missbrauch widerstandsunfähiger Personen, also hauptsächlich behinderter oder sonst strukturell unterlegener Personen. Der neue § 179 StGB-E soll unter der Überschrift „Sexueller Missbrauch unter Ausnutzung besonderer Umstände“ stehen. Nach dem neuen Gesetzeswortlaut soll es objektiv weder auf eine Nötigung noch auf einen Einsatz von Gewalt erst zur Ermöglichung der sexuellen Handlung ankommen. Subjektiv soll ausreichen, dass ein Opfer sich schutzlos fühlt. Diesem weitergefassten Tatbestand steht eine Reduzierung der vorgesehenen Strafe gegenüber. Die künftige Mindeststrafe soll nur noch bei sechs Monaten, in minder schweren Fällen sogar nur bei drei Monaten liegen.

Bestand tatsächlich eine Schutzlücke?

Das Bundesjustizministerium hat in der Vorbereitung des Gesetzesentwurfes eine entsprechende Fallanalyse vorgenommen. Dabei wurde eine Schutzlücke insbesondere für solche Fälle aufgedeckt, in denen das Opfer mit sexuellen Übergriffen gar nicht rechnet. In Konstellationen, in denen Opfer auf Grund schneller Geschehnisse gar keine Gelegenheit haben, sich zu wehren oder einen entgegenstehenden Willen zu bilden, waren bisher nicht strafrechtlich erfasst. Sie fielen auch in aller Regel nicht unter den Tatbestand der Beleidigung, da dafür die Geschlechtsehre des Opfers angegriffen sein müsste. Dies ist aber nach der Rechtsprechung bei körperlichen Übergriffen weniger leicht anzunehmen als bei verbalen Äußerungen.

Wurde die vermeintliche Schutzlücke geschlossen bzw. gibt es noch weitergehende Forderungen?

Ob die Gesetzesänderung in der Praxis zu großen Änderungen führen wird, ist fraglich. Denn Gerichte werden nach dem neuen Tatbestand den Tätern nachzuweisen haben, dass sie die besonderen Umstände (wie z.B. das Überraschungsmoment) kannten und bewusst ausgenutzt haben. Dies dürfte schwierig zu bewerkstelligen sein. Wie viele neue Fälle letzten Endes erfasst werden, bleibt daher abzuwarten.
Von dem Gesetzesentwurf unberührt bleibt die in § 184h StGB festgeschriebene Erheblichkeitsschwelle. Demnach können nur sexuelle Handlungen, die im Hinblick auf das jeweils geschützte Rechtsgut von einiger Erheblichkeit sind, überhaupt bestraft werden. So ist in aller Regel ein Griff an den Po des Opfers nicht relevant, wenn es bekleidet ist. Ebenfalls hält die Rechtsprechung übliche Küsse und Umarmungen in der Regel nicht für sexuelle Handlungen. Einige Stimmen fordern deswegen auch eine Verschärfung des Strafrechts in diesem Bereich.

Was bedeuten die Änderungen für die Beweiswürdigung (vor allem Konstellationen Aussage gegen Aussage)?

Wie schon angedeutet, wird der Gesetzesentwurf in der Praxis zu erhöhten Beweisschwierigkeiten führen, da es einmal mehr auf innere Gedanken von Täter und Opfer ankommt. Ermittlungsverfahren werden leichter einzuleiten sein, denn es genügt, dass ein Opfer im Falle des Widerstandes ein Übel „befürchtet“. Zu einer Verurteilung kann es jedoch nur kommen, wenn das Gericht eine überwiegende Wahrscheinlichkeit der Tat annimmt.
Für Sexualdelikte ist jedoch typisch, dass deren Begehung ohne Zeugen erfolgt. Vor Gericht kommt es deswegen häufig zu einer Konstellation von Aussage gegen Aussage. Diese Aussagen muss der Richter würdigen und auf dieser Basis entscheiden, ob der Angeklagte tatsächlich der Täter war. Ohne zusätzliche äußerliche Umstände oder Indizien tun sich Richter mit solch einer Entscheidung sehr schwer. Die meisten Verfahren in Sexualdelikten scheitern deswegen schon heute an ihrer Beweisbarkeit. An diesen Problemen wird auch der Gesetzesentwurf nichts ändern.