Der neue § 184i StGB, der die sexuelle Belästigung unter Strafe stellt, trat am 10.11.2016 im Rahmen des neues „Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuches – Verbesserung des Schutzes des sexuellen Selbstbestimmung“ in Kraft. Mit der Reform des Sexualstrafrechts sollte der „Nein-heißt-Nein“-Grundsatz im deutschen Strafrecht verankert werden. Zuvor hatte es teils hitzige Diskussionen gegeben. Während die Änderungen vielen Strafrechtlern zu weit gehen, ist es nach dem Willen von Frauenrechtlerinnen ein längst überfälliger Schritt in die richtige Richtung. Verstärkt wurde die Kontroverse durch die Vorfälle in der Kölner Silvesternacht und den Vergewaltigungsprozess um Gina-Lisa Lohfink, die über Wochen die Medien beherrschten.
Telos des neuen § 184i StGB
Die strafbaren Handlungen der sexuellen Nötigung und Vergewaltigung sind in § 177 StGB normiert. Der Einführung des neuen § 184i StGB, also der sexuellen Belästigung, lag der Gedanke zu Grunde, dass sich diese Vorschriften in der Praxis als zu eng erwiesen haben. So seien nicht alle strafwürdigen Handlungen, mit denen die sexuelle Selbstbestimmung des Opfers verletzt werde, von den Straftatbeständen zum Schutz der sexuellen Selbstbestimmung erfasst. Verbunden mit der Reform ist also ein Paradigmenwechsel. Denn das alte Gesetz beruhte im Kern auf Normen des Reichsstrafgesetzbuches von 1871 und war mit einem nicht mehr zeitgemäßen Verständnis von Vergewaltigung als Überwindung des körperlichen Widerstands einer Frau zur Ermöglichung von Beischlaf behaftet. § 184i StGB soll vor allem Lücken schließen, die daraus resultieren, dass das Berühren über der Kleidung bislang von der Rechtsprechung in der Regel nicht als Sexualdelikt bewertet wurde, da die Erheblichkeitsschwelle des § 184h Nr. 1 StGB nicht übertreten sei
Tatbestand der sexuellen Belästigung
Der Tatbestand der sexuellen Belästigung gemäß § 184i Abs. 1 StGB setzt voraus, dass der Täter eine andere Person in sexuell bestimmter Weise körperlich berührt und dadurch belästig. Die Norm sieht einen Strafrahmen von Geldstrafe bis zu Freiheitsstrafe von zwei Jahren vor. Im zweiten Halbsatz enthält die Norm eine Subsidiaritätsklausel („wenn nicht die Tat in anderen Vorschriften mit schwerer Strafe bedroht ist“), die jedoch nur bei Delikten wirkt, die eine vergleichbare Schutzrichtung aufweisen – also ebenfalls im 13. Abschnitt (Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung) stehen.
Da eine Körperberührung gefordert wird, die nach ihrem äußeren Erscheinungsbild einen sexuellen Zusammenhang aufweist, gehören rein verbale (sexuelle) Belästigungen nicht zum Anwendungsbereich. Auslegungsfragen stellen sich jedoch zwangsläufig bei dem Merkmal der „sexuellen Bestimmung“. Nach der Begründung des Gesetzes erfolge die körperliche Berührung in sexuell bestimmter Weise, wenn sie sexuell motiviert sei. Damit wird somit auf eine subjektive Komponente des Täters verwiesen, ganz ähnlich verhält es sich mit dem Tatbestandsmerkmal der „Belästigung“. Dies soll der Fall sein, wenn das Opfer in seinem Empfinden nicht unerheblich beeinträchtigt wird. Als Handlungen kommen etwa aufgedrängte Küsse auf die Wange, Berührungen der primären oder sekundären Geschlechtsmerkmale, Umarmungen oder auch ein Klaps auf den Po In Betracht.
§ 184 Abs. 2 StGB enthält einen erhöhten Strafrahmen für besonders schwere Fälle über Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren. Neben dem unbenannten besonders schweren Fall nennt Abs. 2 einen einzigen Regelbeispielsfall. Dieser setzt voraus, dass die Tat von mehreren gemeinschaftlich begangen wird, also von mind. drei Personen. Gemeinschaftliche Tatbegehung ist wie in § 224 Abs. 1 Nr. 4 zu verstehen. Demnach ist keine Mittäterschaft im Sinne von § 25 Abs. 2 StGB erforderlich. Stattdessen genügt auch jede andere Teilnahmeform. Doch müssen alle Beteiligten am Tatort anwesend sein, um die schulderhöhende Wirkung auszulösen, wobei nur der Täter Körperkontakt mit dem Opfer haben muss. Als Regelbeispiel beeinflusst § 184i Abs. 2 StGB lediglich die Strafzumessung.
Nach § 184i Abs. 3 StGB ist die Norm als relatives Antragsdelikt ausgestaltet. Dies soll dem Umstand Rechnung tragen, dass sich das Delikt vor allem dadurch auszeichnet, dass die Intimsphäre und damit ein ausgesprochen privater Bereich des Opfers tangiert wird. Die Frage der Verfolgung der Straftat soll daher vorrangig von der Entscheidung des Opfers abhängen. Jedoch kann der fehlende Strafantrag ersetzt werden, wenn die entsprechende Staatsanwaltschaft das besondere öffentliche Interesse an der Strafverfolgung bejaht.
Kritik an dem neuen Tatbetsand der sexuellen Belästigung
In der einschlägigen juristischen Literatur und auch von Seiten zahlreicher Strafrichter wurde immer wieder Kritik an dem neuen § 184i StGB geäußert. Denn die Konsequenz der Betrachtungsweise, die hinsichtlich der „sexuellen Bestimmung“ auf die Motive des Täters, und hinsichtlich der „Belästigung“ auf das subjektive Empfinden des Opfers abstellt, sei ein enorm weiter Anwendungsbereich. Erfasst würden so auch sozialübliche aber erfolglose körperliche Annäherungen mit dem Ziel „einverständlicher Sexualkontakt“ und der anschließenden Feststellung, dass das Interesse nur einseitig bestehe. Im Ergebnis würde es auf es auf eine Gesellschaft mit strikter körperlicher Distanz hinauslaufen, in der sexuelles Interesse ausschließlich verbal geäußert werden dürfe. Deshalb solle die Bedeutung einer Berührung nicht anhand der Motive des Täters, sondern aus einer objektiven Sicht bewertet werden und als solche bereits sexuelle Bedeutung habe. Zudem habe das Merkmal der sexuellen Belästigung keine strafbarkeitsbegründende sondern straffilternde Funktion.
Notwendigkeit eines Strafverteidigers beim Vorwurf sexuelle Belästigung
Als Beschuldigter einer Straftat im Sinne des § 184i StGB ist das Einschalten eines Strafverteidigers für einen erfolgreichen Ausgang des Verfahrens nahezu unerlässlich. Gerade im Hinblick auf die zahlreichen Änderungen, und den damit verbundenen Unwägbarkeiten in der Praxis, führt kein Weg an einer professionellen rechtlichen Beratung vorbei. Die Einschaltung des rechtlichen Beistandes sollte dabei so früh wie möglich erfolgen, nicht erst, wenn es tatsächlich zu einem gerichtlichen Verfahren kommt.
Gerade im Ermittlungsverfahren lassen sich bereits wichtige Weichen stellen, um eine spätere Verurteilung zu vermeiden. So kommt eine Einstellung mangels hinreichendem Tatverdacht nach § 170 Abs. 2 StPO in Betracht, darüber hinaus bestehen auch Einstellungsmöglichkeiten wegen Geringfügigkeit (§ 153 StPO) oder das Absehen von der Verfolgung unter Weisungen und Auflagen (§ 153a StPO) sowie das Abtrennen unwesentlicher Nebenstraftaten oder die Beschränkung der Strafverfolgung (§ 154 ff. StPO). Auch im Jugendstrafrecht bestehen spezielle Einstellungsgründe (§ 45 JGG). Mit einem Strafverteidiger haben sie einen kompetenten und verlässlichen Partner an ihrer Seite, der in jeder Lage des Verfahrens helfen und beraten kann.
Auch in einem Prozess ist der Verzicht auf rechtlichen Beistand grob fahrlässig, um entsprechenden Vorwürfen erfolgsversprechend entgegen treten zu können. Das neue Sexualstrafrecht enthält eine Vielzahl von Auslegungs- und Beweisproblemen. Ohne qualifizierte Hilfe besteht kaum eine Möglichkeit, ein solch gerichtliches Verfahren mitzuprägen und zufriedenstellend abzuschließen. Denn auch vor Gericht bestehen neben der Möglichkeit eines Freispruches verschiedene Einstellungsgründe. Selbst im Falle eines Schuldspruches kann ein Strafanwalt entscheidenden Einfluss nehmen. Durch eine konsequente Verteidigung kann ein verhältnismäßig niedriges Strafmaß erreicht werden. Daneben kommt eine Strafaussetzung zur Bewährung in Betracht. Ein Verteidiger kann dafür günstige Faktoren, etwa die berufliche Beschäftigung, eine intakte Familie, das Vorleben oder das Nachtatverhalten entsprechend zur Geltung bringen.
Vor Augen führen sollte man sich die Wichtigkeit eines Strafverteidigers auch in Zusammenhang mit dem eigenen Führungszeugnis. Dort werden alle Verurteilungen eingetragen, die mehr als 90 Tagessätze Geldstrafe oder mehr als drei Monate Freiheitsstrafe bedeuten. Ab diesem Zeitpunkt gilt man als vorbestraft. Eine Löschung aus dem Führungszeugnis erfolgt bei Geldtrafen und Freiheitsstrafen bis zu einem Jahr nach drei Jahren. Besonders zu beachten ist hier jedoch § 34 Abs. 2 BZRG, wonach eine Löschung aus dem Führungszeugnis bei Verurteilungen wegen einer Straftat nach den §§ 174 bis 180 des StGB von mehr als einem Jahr Freiheitsstrafe erst nach zehn Jahren erfolgt. In allen übrigen Fällen erfolgt die Löschung nach fünf Jahren.