Das Landgericht Gera war besessen. Besessen von falsch verstandener Moral. Bei einem 20-jährigen Angeklagten ist es nicht nur zu einer Jugendstrafe wegen Schwere der Schuld gekommen, weil der Heranwachsende mit einer 13-jährigen viermal einvernehmlich Geschlechtsverkehr hatte, sondern hat auch mit rechtsfehlerhafter Begründung einen minder schweren Fall i.S.d § 176a IV StGB abgelehnt.
Zwischen dem Angeklagten und dem Geschädigten bestand zunächst eine rein freundschaftliche Beziehung. Im Laufe der Zeit entwickelte sich hieraus zumindest aus Sicht der geschädigten eine Liebesbeziehung, im Rahmen derer es in 4 Fällen auch zu einvernehmlichem und geschütztem Geschlechtsverkehr kam.
Das Landgericht Gera verurteilte den Angeklagten wegen schweren sexuellen Missbrauch eines Kindes gemäß § 176a II Nr. 1 StGB zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren. Dies ist rechtlich nicht zu beanstanden. Nicht ganz frei von falsch verstandener Moral sind hingegen die Erwägungen des Landgerichts, mit denen es die Schwere der Schuld des Angeklagten bejaht, um eine Jugendstrafe verhängen zu können und jene, mit denen es einen minder schweren Fall ablehnt:
„Das Landgericht hat jeweils schulderhöhend gewertet, dass zwischen dem Angeklagten und der Geschädigten ein intensives und freundschaftliches Verhältnis bestand, was diesen eher zum Schutz der Geschädigten hätte veranlassen müssen. Auch habe dem Angeklagten als einem bereits seit 2 Jahren volljährigen Erwachsenen die Verantwortung oblegen, die Taten zu unterlassen. Der Angeklagte habe indes nicht nur den Wunsch der Mutter der Geschädigten, weiteren Geschlechtsverkehr wegen des zwischen ihm und der Gesch. bestehenden großen Altersunterschieds zu unterlassen, ignoriert, sondern auch den Willen des Gesetzgebers „zum Schutze von Kindern auf eine sexuell unbelastete Entwicklung“ (BGH, Beschl. v. 5. 6. 2013 – 2 StR 189/13 (LG Gera)).
Das Urteil hat der Bundesgerichtshof mit folgender Begründung aufgehoben:
„Mit diesen Erwägungen stellt das Landgericht indes rechtsfehlerhaft darauf ab, dass der Angeklagte die Taten überhaupt begangen hat. Das Gericht hat es zudem versäumt, sich mit der Frage auseinanderzusetzen, ob nicht die Schuld des Angeklagten wegen des zwischen ihm und der Geschädigten bestehenden besonderen Verhältnisses gemindert sein könnte. Hierzu bestand insofern Anlass, als nach den Feststellungen „zumindest“ aus Sicht der Geschädigten eine Liebesbeziehung bestand, zwischen beiden stets einvernehmlicher und geschützter Geschlechtsverkehr stattfand, die Geschädigte zur Tatzeit bereits 13 Jahre alt war und es sich bei dem Angekl. um einen erst 20-jährigen jungen Erwachsenen handelte (…). So hat zwar die Strafkammer festgestellt, dass die Geschädigte in ihrer Entwicklung nicht anders als der Durchschnitt von Mädchen bis zu 14 Jahren zu beurteilen sei. Allein aber der Umstand, dass die vorliegende Fallkonstellation damit nicht exakt der in den Gesetzesmaterialien zu § 176?a StGB als Beispiel eines minder schweren Falls genannten Konstellation einer „Liebesbeziehung zwischen einem körperlich und geistig-seelisch weit über den altersgemäßen Zustand hinaus entwickelten Kind (etwa einem knapp 14 Jahre alten Mädchen) und einem jungen (etwa 21 Jahre alten) Erwachsenen“ entspricht (BT-Dr. 13/8587 S. 32), entbindet nicht von der Erörterung ähnlich gelagerter schuldmindernder Umstände.
Die Annahme der Schwere der Schuld des Angeklagten (§ 17 Absatz II, 2. Alt. JGG) begegnet darüber hinaus auch insoweit Bedenken, als die Strafkammer nicht erörtert hat, inwieweit sich die charakterliche Haltung und die Persönlichkeit sowie die Tatmotivation des Heranwachsenden in vorwerfbarer Schuld niedergeschlagen haben. Insbesondere wird nicht deutlich, dass die Strafkammer dem äußeren Unrechtsgehalt der Tat nur insofern Bedeutung zugemessen hat, als aus ihm Schlüsse auf die Persönlichkeit des Täters und die Höhe der Schuld gezogen werden können“ (BGH, Beschl. v. 5. 6. 2013 – 2 StR 189/13 (LG Gera)).