Am 13. März 2020 ist eine Gesetzesnovelle in Kraft getreten, die es Ermittlungsbeamten unter engen Voraussetzungen erlaubt, zur Aufrechterhaltung ihrer Tarnung in Kinderpornographie-Foren auch selbst Inhalte bereitzustellen – sofern diese computergeneriert und nicht real sind. Ziel ist es, effektiver gegen den Missbrauch geschlossener Darknet-Plattformen vorzugehen.
Kinderpornographie im Darknet – eine wachsende Herausforderung
Der Austausch kinderpornographischer Inhalte findet heute nahezu ausschließlich online statt, zunehmend in geschlossenen Foren im Darknet. Im Schutz der Anonymität z.B. des TOR-Netzes sind Austauschplattformen für kinderpornographisches Material, das den schweren sexuellen Missbrauch von Kindern jeder Altersstufe zeigt, in bislang nicht gekannter Größe entstanden (Rückert/Goger, MMR 2020, 373, 374). So hatte allein die von deutschen Ermittlungsbehörden in 2017 geschlossene Plattform „Elysium“ zuletzt über 87.000 Nutzer.
Die Polizeiliche Kriminalstatistik verzeichnete 2019 einen deutlichen Anstieg bei Fällen der Verbreitung, des Erwerbs und Besitzes kinderpornographischer Inhalte – ein Trend, der sich seitdem fortgesetzt hat. Die hohe Nachfrage nach „neuem Material“ führt dazu, dass Täter Kinder gezielt sexuell missbrauchen, um Nachschub zu erzeugen. Es handelt sich um eine erschütternde Form organisierter Kriminalität.
Mehr zu den Mindeststrafen bei kinderpornografischen Inhalten erfahren Sie in diesem Beitrag.
Die „Keuschheitsprobe“ als Hürde für Ermittlungen
Ein besonders problematisches Hindernis für Ermittlungsbehörden stellt die sogenannte „Keuschheitsprobe“ dar. Nutzer müssen zur Freischaltung in einschlägigen Foren selbst kinderpornographisches Material hochladen oder versenden. Damit sollen verdeckte Ermittlungen gezielt verhindert werden.
Solche Schutzmechanismen erschweren die Ermittlungsarbeit erheblich – insbesondere, da sich die Taten rein im virtuellen Raum abspielen und in der Regel kein wirtschaftlicher Austausch erfolgt. Anders als beim Drogenhandel fehlt oft eine greifbare „Offline-Komponente“, über die sich Täter identifizieren ließen.
Gesetzgeberische Reaktion: Erweiterung der Ermittlungsbefugnisse
Um den Zugang zu abgeschirmten Foren zu ermöglichen, wurde §184b Abs.5 StGB um einen neuen Satz ergänzt und durch §110d StPO flankiert. Diese Normen erlauben es Ermittlern unter strengen Bedingungen, künstlich erzeugtes kinderpornographisches Material zu verwenden, ohne sich dabei strafbar zu machen.
Die Neuregelung kam im Rahmen des 57. Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuches, das sich primär mit Cybergrooming befasste. Sie stellt klar: Ermittler dürfen Inhalte verwenden, die kein tatsächliches Geschehen abbilden und bei deren Erstellung keine realen Kinder oder Bildaufnahmen realer Kinder verwendet wurden.
Rechtlicher Hintergrund
Nach alter Rechtslage machten sich Ermittler strafbar, wenn sie zur Überwindung der Keuschheitsprobe strafbares Material hochluden – selbst wenn dies Teil einer Ermittlung war. Ein Rückgriff auf §34 StGB (rechtfertigender Notstand) war nicht möglich, da die einschlägigen Richtlinien dies ausdrücklich ausschlossen.
Kreative Umgehungslösungen, wie die Nutzung medizinischer Abbildungen oder juristisch zweifelhafter Inhalte, stießen schnell an Grenzen. Ohne gesetzliche Ausnahmeregelung waren verdeckte Ermittlungen in vielen Fällen praktisch unmöglich.
Der neue § 184b Abs. 5 S. 2 StGB im Überblick
§ 184b Abs. 5 des StGB wurde um S. 2 mit folgendem Inhalt ergänzt:
„Absatz 1 Nummer 1 und 4 gilt nicht für dienstliche Handlungen im Rahmen von strafrechtlichen Ermittlungsverfahren, wenn die Handlung sich auf einen kinderpornographischen Inhalt bezieht, der kein tatsächliches Geschehen wiedergibt und auch nicht unter Verwendung einer Bildaufnahme eines Kindes oder Jugendlichen hergestellt worden ist, und die Aufklärung des Sachverhalts auf andere Weise aussichtslos oder wesentlich erschwert wäre.“
Damit wurde ein rechtssicherer Rahmen geschaffen, um verdeckte Ermittlungen auch auf abgeschotteten Plattformen zu ermöglichen.
Flankiert wird die Tatbestandsausnahme von § 110d StPO, der vorsieht, dass Einsätze, bei denen entsprechend § 184b Abs. 5 S. 2 StGB Handlungen im Sinne des § 184b Abs. 1 Nummer 1 und 4 des Strafgesetzbuches vorgenommen werden,
- der Zustimmung des Gerichts bedürfen;
- in dem Antrag darzulegen ist, dass die handelnden Polizeibeamten auf den Einsatz umfassend vorbereitet wurden;
- dass bei Gefahr im Verzug die Zustimmung der Staatsanwaltschaft genügt, die Maßnahme aber zu beenden ist, wenn nicht das Gericht binnen drei Werktagen zustimmt und
- die Zustimmung schriftlich zu erteilen und zu befristen ist.
Voraussetzung und Anwendungsbereich der neuen Regelung
Die Anwendung von §184b Abs.5 S.2 StGB setzt voraus, dass:
- die Handlung im Rahmen eines strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens erfolgt,
- das verwendete Material kein tatsächliches Geschehen wiedergibt und
- bei seiner Herstellung keine realen Bildaufnahmen von Kindern oder Jugendlichen verwendet wurden.
Die Regelung betrifft ausschließlich staatliche Ermittlungsorgane – insbesondere Staatsanwälte und Polizeibeamte. Eine Einbeziehung externer Sachverständiger, etwa für die Erstellung computergenerierter Inhalte, ist nicht vorgesehen, was in der Praxis problematisch sein kann – insbesondere bei personellen Engpässen in den Landeskriminalämtern.
Was gilt als „kein tatsächliches Geschehen“?
Damit computergeneriertes Material verwendet werden darf, muss es vollständig künstlich erzeugt sein. Es darf:
- keine echten Kinder zeigen,
- keine echten Bildaufnahmen verwenden (auch nicht verfremdet),
- und keine realen sexuellen Handlungen abbilden.
Erlaubt ist ausschließlich die Nutzung digital erzeugter Inhalte, etwa durch computergenerierte Grafiken oder KI. Auch Trainingsdaten für solche KI-Systeme dürfen nicht aus realem Missbrauchsmaterial bestehen. Der Gesetzgeber betont ausdrücklich: Das Ziel ist es, neue Rechtsverletzungen zu verhindern – nicht, bestehende weiter zu verbreiten.
Technische Umsetzungsmöglichkeiten
Technisch kann das Material auf verschiedenen Wegen erstellt werden – z.B. durch:
- Vektorgrafiken, wie sie aus Computerspielen bekannt sind,
- animierte Sequenzen mit fiktiven Charakteren,
- oder KI-generierte Standbilder.
Solche Darstellungen müssen einerseits überzeugend genug sein, um in Foren akzeptiert zu werden, dürfen aber keine Rückschlüsse auf reale Opfer zulassen.
Drittbesitzverschaffung
Der neue §184b Abs.5 S.2 StGB nennt explizit nur das Verbreiten und Herstellen von kinderpornographischem Material. Nicht ausdrücklich erfasst ist jedoch die sogenannte Drittbesitzverschaffung – also etwa der Versand künstlichen Materials an einzelne Moderatoren zur Freischaltung.
Das erscheint widersprüchlich: Das Posten in einem Forum für eine unbestimmte Vielzahl von Nutzern wäre erlaubt, das gezielte Übersenden an einen einzelnen Administrator aber nicht. Das würde Ermittlungen in der Praxis erheblich behindern.
Deshalb wird in der Fachliteratur vertreten, dass diese Lücke durch analoge Anwendung geschlossen werden kann – auch im Sinne des Gesetzeszwecks. Denn die Drittbesitzverschaffung ist im Unrechtsgehalt deutlich schwächer als die öffentliche Verbreitung.
Strafprozessuale Einordnung: Wer darf was – und unter welchen Bedingungen?
Flankierend neu eingefügt wird darüber hinaus die Befugnisnorm in § 110d StPO die vorsieht, dass
- die Maßnahme erstens unter dem Vorbehalt schriftlicher richterlicher Zustimmung steht,
- zweitens sie nur von speziell für den Einsatz geschulten Polizeibeamten durchgeführt werden darf und
- sie drittens zeitlich zu befristen ist.
Bemerkenswert ist: Die Norm bezieht sich nicht nur auf klassische verdeckte Ermittler im Sinne von §110a StPO. Auch nicht offen ermittelnde Polizeibeamte dürfen computergeneriertes Material in einschlägigen Foren verbreiten – eine wichtige Klarstellung, da im Darknet ohnehin fast ausschließlich mit Pseudonymen agiert wird und persönliche Tarnidentitäten selten nötig sind.
Kritik an der Neuregelung: Zwischen Prävention und Risiko
Die neue Regelung ist in der Fachwelt nicht unumstritten. Kritiker befürchten:
- eine Belebung des Marktes, da durch Ermittler neue Inhalte (wenn auch künstlich erzeugt) verbreitet werden,
- eine Steigerung der Nachfrage, die Täter zu realem Missbrauch motivieren könnte,
- und eine moralische Grauzone, da der Staat in gewisser Weise Teil des kriminellen Systems wird.
Dem gegenüber stehen klare Argumente der Befürworter: Selbst wenn nur ein einziges Forum durch den Einsatz computergenerierten Materials erfolgreich infiltriert wird und Täter wie Opfer identifiziert werden können, sei der gesetzgeberische Eingriff verhältnismäßig. Zudem enthält das Gesetz zahlreiche Sicherungen – wie das Verbot realer Aufnahmen, die Subsidiaritätsklausel und den Richtervorbehalt.
Kinderpornografie im Darknet – ein Fazit
- Die Neuregelung (§184b Abs.5 S.2 StGB, §110d StPO) erlaubt Ermittlern unter strengen Bedingungen den Einsatz computergenerierter Inhalte zur Überwindung von Zugangshürden in Darknet-Foren.
- Realbildaufnahmen und Darstellungen tatsächlichen Geschehens bleiben strikt verboten.
- Der Einsatz ist an richterliche Genehmigung, Schulung und Befristung gebunden – und nur zulässig, wenn keine andere Ermittlungsmaßnahme erfolgversprechend ist.
- Kritik am möglichen „Marktimpuls“ ist ernst zu nehmen, wird aber durch die gesetzlichen Schutzmechanismen abgemildert.
- Der Fokus liegt auf effektiver Strafverfolgung, nicht auf Strafverschärfung – mit dem Ziel, Täter zu identifizieren und weitere Missbrauchstaten zu verhindern.